SP-X/Köln. Dieser Mercedes thront über den Dingen wie ein über 1000-jähriger Mammutbaum. Ganz so alt ist die G-Klasse zwar noch nicht, aber 40 Jahre Produktionszeit in optisch fast unveränderter Form genügen nach automobilen Maßstäben für den Status eines Methusalems unter den Offroadern. Während der Land Rover pausiert und Jeep sowie Toyota Land Cruiser ihre Funktionskleidung bereits mehrfach gewechselt haben, bleibt der Benz seiner Grundform sogar in der 2018 lancierten Neuauflage treu. Kantige Konturen, die schon 1973 als massives Holzmodell vorgestellt wurden und in Kooperation zwischen Mercedes und Steyr-Daimler-Puch finalisiert wurden bis sie Anfang 1979 im österreichischen Graz in Serie gingen.
Es war der Start für ein Offroad-Gewächs, wie es die 4x4-Welt noch nicht gesehen hatte: Der Mercedes G gewann die Rallye Paris-Dakar und explorierte als erster den Kältepol sowie andere lebensfeindliche Gegenden. Er dient dem Papst, Präsidenten und Polizeibehörden als adäquates Fortbewegungsmittel, steht im Einsatz bei Forstbehörden und Feuerwehren, ist als „Wolf“ für Bundeswehr und UNO unterwegs – und dennoch gilt der Stern gleichzeitig als extravagantes Lifestylevehikel, das mit mächtigen V12-Motoren und Maybach-Signet auch zum Rivalen von Range Rover oder Bentley Bentayga avancierte. Trotzdem widersetzt sich dieser knorrige Kasten dem Trend zum weichgespülten SUV, denn der Mercedes G trägt die Bezeichnung Geländewagen nicht nur im Typencode.
Es ist wie bei den gigantischen Sequoia-Bäumen. Geländewagen, die heute noch aus gutem Holz sind, also viel einstecken können und in rauer Schale auftreten, stehen unter Artenschutz. Anders in der Ära vor der SUV-Schwemme. Damals in den 1970ern wurde ein 4x4-Krabbler nur akzeptiert, wenn er alpine Klettergärten und wüste Sandkästen zu seinem Wohnzimmer erklärte. Genau so begann auch die Geschichte der G-Klasse, die konzipiert wurde, als es an ausreichender militärischer Finanzierung für Geländewagenprojekte mangelte. So kam es zu einer Kooperation zwischen der damaligen Daimler-Benz AG und dem österreichischen Allrad-Spezialisten Steyr-Daimler-Puch – der die Schwaben mit seinen legendären Geländevehikeln Puch Pinzgauer und Haflinger verblüfft hatte. Konnten die kleinen Alpinisten made in Austria doch dem von Fachleuten für unbezwingbar gehaltenen Unimog Paroli bieten und das auf Unimogs ureigener Spielwiese, dem Sauberg in Gaggenau.
Nun ging alles schnell. Unter der technischen Leitung des Puch-Ingenieurs Erich Ledwinka verband die G-Klasse alle Merkmale robuster Kletterkünstler mit den technischen Features früher Nobelkreuzer á la Range Rover oder Monteverdi Safari. Auf dass nicht nur Hilfsdienste, Behörden und Militär den deutsch-österreichischen Geländegänger bestellen, sondern auch die Freizeitgesellschaft, Fernreisende, Politiker und Prominente. So kapituliert der Krabbler mit Mercedes-Logo oder Puch-Signet (für den Vertrieb in den Alpenländern und Osteuropa) von Beginn an weder vor Steigungen mit 80 Prozent noch vor Wasserpassagen mit fast einem halben Meter Tiefgang. Für das feuchte Element befindet sich die Luftansauganlage des G in so lichten Höhen, dass der schwäbisch-steirische Steiger später in manchen Versionen auch einen ganzen Meter eintauchen kann. Ebenso wichtig: Dank vollsynchronisierten Verteilergetriebes lässt sich der Allradantrieb während der Fahrt zuschalten und 100-Prozent-Differentialsperren an den Achsen leisten das übrige. Im Laufe der Jahre kommen dann weitere Traktionshelfer hinzu, etwa permanenter Allradantrieb (ab 1989) und elektronische Vortriebsassistenten (ab 2001).
So ist es kein Wunder, dass die englischen und amerikanischen Fachmedien den Abenteurer made in Austria von Beginn an als neuen Herausforderer von Land Rover und Jeep einordneten. Und als 165 km/h schneller 2,8-Liter-Sechszylinder konnte es der Spitzentyp 280 GE schon 1979 mit flotten V8 aufnehmen, in die USA gelangte der German Geländewagen trotzdem erst 2001. Da gab es ihn bereits mit 260 kW/354 PS starkem 5,0-Liter-V8 und wenig später auch mit über 350 kW/475 PS aus 5,5 Liter Hubraum für den Titel „Stärkster Serien-Offroader“. Schließlich lieben nicht nur die Amis Superlative, Protz und Prunk.
Pop-Promis wie Eric Clapton oder Tina Turner setzen ebenso gern auf die bis zu dreieinhalb Tonnen schwere Trutzburg – optional mit Panzerung – wie Potentaten und Politiker. Seit Johannes Paul II vertraut sogar der Heilige Stuhl auf maßgeschneiderte, traditionell Mystikweiß lackierte Papamobile im Zeichen des G. Die monströsesten G-Klasse-Kolosse wie der 2015 lancierte, fast zweieinhalb Meter hohe G 500 4x4² mit Portalachsen sind dagegen angesagtes Accessoires für Social-Media-Stars wie Kylie Jenner. Damit noch nicht genug der Ehren für den 4x4, denn die Erfolge bei Offroadrallyes führten dazu, dass die G-Klasse auch in den berühmten Comic-Abenteuern der Zeichner Marc Wasterlain und Jean Graton ein Siegertyp ist und in Hollywood-Blockbustern von „Stirb langsam…“ bis „Jurassic World“ für Ordnung sorgt.
Kostspielig war die G-Klasse übrigens schon immer. So berechnete Mercedes 1979 für einen 230 G Stationswagen mit 2,3-Liter-Vierzylinder etwa ebenso viel wie für eine S-Klasse Limousine mit langem Radstand und fast die Hälfte mehr als Land Rover für seinen Station Wagon. Der V8-Kraftprotz G 55 AMG knackte 2004 die 100.000-Euro-Marke und drang so ein in die Sphären von Zwölfzylinder-Luxuslinern. Endgültig qualifiziert für den Club der Millionäre war der Mercedes 4x4 dann 2017 in Form des 5,35 Meter langen Maybach G 650 Landaulet, von dem 99 Einheiten zu Preisen ab 750.000 Euro verteilt wurden. Was die laufenden Betriebskosten schon eines Basis-Benziners betrifft, ist ein gut gefülltes Portemonnaie ebenfalls nützlich. Spätestens beim Durchdringen des Dschungels der Großstadt erweist sich eine Tankstellen-App als nützlich.
Es geht jedoch auch billiger, wie relativ effiziente Diesel und zuletzt die rustikaler ausstaffierte Professional-Linie zeigten, vor allem aber die von Anfang an verfügbaren Behörden- und Militärfahrzeuge. Als Kommando- und Bergungsfahrzeug bei Feuerwehr, Polizei, Hilfsdiensten und bei Streitkräften von den USA bis Australien zeigte sich die G-Klasse von ihrer vielseitigsten Seite. Dazu zählen auch Lizenzfertigungen wie der Peugeot P 4, durch den die Franzosen 1981 ein Allradmodell ins Programm bekamen, das auch bei Paraden eine gute Figur macht.
Tatsächlich ging das Kalkül der Väter der G-Klasse nicht nur auf, der kolossale Kasten übertraf alle Absatzerwartungen und mutierte dank Denkmalspflege zu einem Mammut, das nicht ausstirbt. Dagegen spricht übrigens auch die fast unzerstörbar langlebige Konstruktion der G-Klasse. Während das Werk in Graz auf maximal 10.000 Einheiten pro Jahr ausgelegt war, orderten die Kunden bald die doppelte Stückzahl. Und ließ der Hype einmal nach, konterte Mercedes mit neuen Versionen, so wie jetzt zum 40. Geburtstag. Denn diesen feiert die G-Klasse als technisch runderneuerter optischer Oldie.
Wolfram Nickel/SP-X
Kurzcharakteristik
Modellgeschichte Mercedes-Benz G-Klasse:
1969: Die Daimler-Benz AG und die österreichische Steyr-Daimler-Puch AG (SDP) sondieren erstmals Kooperationsmöglichkeiten
1971: In Gaggenau wird der Unimog mit den Puch-Geländefahrzeugen Haflinger und Pinzgauer verglichen. Die österreichischen Allrad-Nutzfahrzeuge bewähren sich so, dass eine Kooperation für einen neuen Geländewagen angestrebt wird
1972: Die technische Entwicklung für die künftige G-Klasse leitet Erich Ledwinka von Puch
1973: Ein Holzmodell des künftigen Geländewagens entsteht
1974: Fahrerprobung des ersten Prototyps
1977: Daimler-Benz und SDP gründen zur Produktion der G-Klasse die gemeinsame Geländefahrzeug Gesellschaft (GfG). In Graz-Thondorf entsteht das Werk
1979: Anfang Februar wird die G-Klasse in Südfrankreich zum ersten Mal der Presse vorgestellt. Produktionsstart am 1. Februar mit den Typen 240 GD, 300 GD, 230 G und 280 GE. In Österreich, in der Schweiz, Jugoslawien, Kuba, der Mongolei und den osteuropäischen COMECON-Ländern (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) treten die G-Modelle unter dem Markennamen Puch an
1980: Auf Basis eines 230 G mit langem Radstand entsteht das erste „Papamobil“ für den Vatikan. 1982 folgt ein weiterer Papstwagen für Johannes Paul II. Bei den konventionellen „G“ erweitern geschlossene Kastenwagen mit kurzem oder langem Radstand das Angebot
1981: Anlässlich einer Modellpflege gibt es für den 280 GE und den 300 GD Automatikgetriebe, Klimaanlage, Längssitzbänke für die Ladefläche, Zusatztanks, Tropendach, Scheinwerferschutzgitter, Seilwinde, ein Hardtop für das Cabrio und der mechanische Nebenabtrieb. Im Juli wird das 1977 gegründete Gemeinschaftsunternehmen GfG komplett auf Steyr-Daimler-Puch übertragen. Das österreichische Unternehmen (heute Magna Steyr AG & Co. KG) fertigt den G seither im Lohnauftrag für Mercedes-Benz. Das Stuttgarter Unternehmen tritt künftig also offiziell als Hersteller des G-Modells auf. Der Peugeot P 4 basiert auf dem G-Modell, allerdings mit Motoren des Peugeot 504 und Getrieben des Peugeot 604. Von 1981 bis 1985 werden 7.500 Fahrzeuge im Peugeot-Werk Sochaux gebaut, rund 6.000 weitere P 4 entstehen dann bis 1988 bei Panhard
1982: 230 GE mit Benzineinspritzung und 125 PS ersetzt den 230 G mit Vergasermotor. Zusatzheizung, Breitreifen auf Leichtmetallfelgen und Kotflügelverbreiterung sind auf Wunsch lieferbar
1983: Zweite Modellpflege mit Einführung neuer Metallic-Farben und
eines Fünfganggetriebes. Jacky Ickx und Claude Brasseur gewinnen die Rallye Paris-Dakar auf 280 GE. Ein Jahr zuvor sind Ickx und Brasseur auf 280 GE bereits als Zweite ins Ziel gekommen
1985: Dritte Modellpflege mit serienmäßigen Differenzialsperren, Zentralverriegelung und Drehzahlmesser. Das Cabrio erhält anstelle der einfachen Plane ein Klappverdeck
1986: 230 GE und 280 GE sind mit geregeltem Katalysator lieferbar. Im Juli rollt das 50 000. Exemplar der G-Klasse vom Band
1987: Vierte Modellpflege mit neuen Sonderausstattungen wie elektrischen Fensterheber. Das Fahrgestell mit Fahrerhaus und 3,12 Meter Radstand kommt ins Programm und der 250 GD mit 84 PS löst den 240 GD ab
1988: Rolf Seitz gewinnt auf der G-Klasse die Europameisterschaft im Trial, ein Jahr später wiederholt Heinrich Wangler auf einem G diesen Triumph
1989: Zum 10-jährigen Jubiläum erscheint das Sondermodell 230 GE Classic in limitierter Auflage von 300 Exemplaren. Präsentation der neuen Baureihe 463 mit permanentem Allradantrieb, Edelholz-Innenausstattung und auf Wunsch ABS im September auf der Frankfurter IAA
1990: Markteinführung der Baureihe 463 im April mit den Modellen 230 GE, 300 GE, 250 GD und 300 GD in drei Karosserieversionen. Produktionsende der Baureihe 460
1992: CKD-Produktion der G-Klasse in Griechenland. Markteinführung der Baureihe 461 für professionelle Anwender als Weiterentwicklung der bisherigen Baureihe 460 mit den Typen 230 GE und 290 GD. Erste Modellpflege des Typs 463 mit optionaler Reserveradabdeckung aus Edelstahl, seitlichen Trittbretter und Wurzelnussholz. Neu ist außerdem der 350 GD Turbodiesel. Im Juni Auslieferung des 100 000. Geländewagen der G-Klasse
1993: In der Modellreihe 461 kommt ein Fahrgestell mit Fahrerhaus und 3,40 Metern Radstand ins Programm. Neu ist außerdem das Achtzylinder-Sondermodell 500 GE mit 241 PS in einer Auflage von 500 Exemplaren. Die G-Modelle heißen jetzt offiziell G-Klasse
1994: Zweite Modellpflege der Modellreihe 463 mit innen belüfteten Scheibenbremsen vorn und serienmäßigem Fahrerairbag. Der 210 PS starke G 320 löst den bisherigen G 300 ab
1996: Der 177 PS starke G 300 Turbodiesel ersetzt den G 350 Turbodiesel im Rahmen der dritten Modellpflege
1997: Das Cabrio der G-Klasse mit elektropneumatischem Verdeck wird präsentiert.
In der Baureihe 463 löst der V6-Motor im G 320 den bisherigen Reihensechszylinder ab. In der Baureihe 461 ersetzt der 290 GD Turbodiesel mit 120 PS den 290 GD mit Saugdiesel
1998: Vierte Modellpflege mit neuem Spitzentyp G 500 (296 PS). Der kanadische Konzern Magna International Inc erwirbt die Steyr-Daimler-Puch AG, die Zusammenarbeit mit den Stuttgartern läuft aber weiter
1999: Im März wird zum 20. Geburtstag der G-Klasse das auf 400 Einheiten limitierte Sondermodell G 500 Classic vorgestellt. Neu sind der G 55 AMG mit 354 PS starkem V8 und der gepanzerte Mercedes-Benz G 500 Guard
2000: Auf dem Pariser Salon debütiert der G 400 CDI mit V8-Diesel (250 PS) als Ersatz für den G 300 Turbodiesel. Die V8-Modelle erhalten eine verchromte Kühlermaske und Stoßfänger in Wagenfarbe. Mit dieser Modellpflege endet die Vertriebsaufteilung zwischen Mercedes und Puch, fortan tragen alle G-Klasse-Fahrzeuge den Stern auf dem Kühler
2001: Neue Fahrdynamiksysteme wie ESP, Brems-Assistent sowie das Elektronische Traktions-System 4ETS. Marktstart der G-Klasse in den USA
2002: Mit Fünfzylinder-Diesel startet der G 270 CDI (156 PS)
2004: In Genf debütiert der G 55 AMG mit V8-Kompressormotor und 476 PS
2006: Der G 55 AMG leistet jetzt glatte 500 PS. Der G 320 CDI ersetzt die Diesel G 270 CDI und G 400 CDI. Gleichzeitig entfällt der G 320. Die G-Klasse erreicht den Kältepol der Erde, dem russischen Ort Ojmjakon, an dem minus 71,2 Grad gemessen wurden
2007: Der G 55 AMG leistet nun 507 PS. Neues Cockpit für die G-Klasse mit
mit DVD-Navigationssystem und Heckleuchten in LED-Optik. Ab Dezember kommt im Vatikan auch ein G 500 als Fahrzeug für den Papst zum Einsatz, den Papst Franziskus noch im Juli 2013 bei einem Besuch in Brasilien nutzt
2008: Australien bestellt für sein Militär 1.200 G-Klasse Fahrzeuge. Der G 500 erhält einen neuen 5,5-Liter V8-Motor mit 388 PS und 530 Nm Drehmoment. Ab Herbst geänderten Kühlermaske im 3-Lamellen-Design für die G-Klasse und Festplattten-Navigation sowie Sprachbedienung
2009: Die G-Klasse feiert ihren 30. Geburtstag mit den Sondermodellen Edition 30
2012: Der G 63 AMG mit 5,5-Liter-V8 (544 PS) löst den G 55 AMG Kompressor ab. Neues Topmodell ist der G 65 AMG mit Sechsliter-V12 und 612 PS sowie 1.000 Nm Drehmoment
2013: Der G 63 AMG 6x6 feiert im März als seriennahes Showcar Premiere. Gebaut wird der Pick-up ab 2014 in Kleinserie mit 544 PS starkem 5,5-Liter-V8
2015: Der G 500 4x4² mit 422 PS starkem Vierliter-V8 hat die Portalachsen des G 63 AMG 6x6 übernommen und verfügt über 45 Zentimeter Bodenfreiheit und einen Meter Wattiefe
2016: In diesem Jahr werden in Graz rund 20.000 Fahrzeuge der Baureihe 463 produziert – das ist die bisher höchste Zahl in einem Jahr überhaupt und doppelt so viel wie 1979 als maximale Jahreskapazität angenommen. Den G 500 gibt es mit neuem Vierliter-V8-Motor (422 PS)
2017: Das Mercedes-Maybach G 650 Landaulet mit 612 PS starkem V12 entsteht in einer auf 99 Stück limitierten Kleinserie. Im Sommer läuft die 300.000ste G-Klasse vom Band
2018: In Detroit debütiert im Januar eine neue G-Klasse in optisch kaum verändertem Design. Allerdings wird der Geländewagen 5,3 Zentimeter länger und 1,2 Zentimeter breiter. Das Fahrwerk behält hinten die klassische Starrachse, vorn arbeitet jetzt eine Doppelquerlenker-Vorderachse mit Einzelradaufhängung. Deren Komponenten sind direkt am Leiterrahmen des Fahrzeugs befestigt
2019: Mercedes feiert den 40. Geburtstag der G-Klasse mit verschiedenen Aktionen bei Klassiker-Events und Messen