60 Jahre Volvo PV 544

18.12.2018 - Wolfram Nickel/SP-X

Weit mehr als eine Million Menschen verdanken dem Dreipunkt-Sicherheitsgurt ihr Leben. In dem legendären Buckel-Volvo PV 544 feierte die Erfindung des schwedischen Luftfahrttechnikers Nis Bohlin ihr Debüt. Aber auch als fast unzerstörbarer Langstreckenläufer schrieb der Volvo in skurrilen Formen Geschichte

 Volvo P210 Duett Kombiversion  Foto: VolvoSP-X/Köln. Er war nicht wirklich neu, dieser zweitürige Fastback im Vorkriegsdesign und doch wurde plötzlich alles anders durch diesen Volvo. Dreipunkt-Sicherheitsgurte, mit dieser lebensrettenden Sicherheitsinnovation fuhr der vor 60 Jahren vorgestellte „Buckel-Volvo“ PV 544 als erstes Serienauto der Welt vor. Ein solches Rückhaltesystem kannten Autofahrer damals allenfalls aus Flugzeugen, aber dort nur in Zweipunktform. Tatsächlich verdankte auch Volvo die bahnbrechende Idee des mit einer Hand bedienbaren Dreipunktgurtes der Aeronautik. Arbeitete doch Nils Bohlin, der Entwickler des Gurtes, zunächst bei Saab als Flugzeugingenieur, wo er für die Entwicklung von Schleudersitzen verantwortlich war. Dann aber wurde Bohlin von Volvo abgeworben, denn der damals noch kleine Göteborger Autobauer wollte expandieren und besonders in Nordamerika mit neuen Sicherheitskonzepten beeindrucken.

Erstmals sorgte der Gurt im 1958 neu vorgestellten Volvo PV 544 für Furore, fast zeitgleich übrigens im Volvo Amazon. Was damals keiner ahnte: Der Dreipunkt-Gurt sollte zur bis heute wohl wichtigsten Sicherheitsausstattung in der Geschichte des Automobils werden. Unfallforscher schätzen, dass diese Erfindung schon mehr als einer Million Menschen das Leben gerettet hat - und dennoch war sie anfangs höchst umstritten.

Volvo PV544 in der Werbung  Foto: VolvoBedenken, die Volvo bei spektakulären Events widerlegte, meist mit dem robusten und sogar im Motorsport erfolgreichen PV 544 als Superstar. So gingen etwa die Bilder von einer Sicherheitskonferenz am Frankfurter Messegelände 1961 um die Welt: Ein Volvo PV 544 fährt auf eine Rampe, hebt ab, überschlägt sich nach einer Flugeinlage viermal und dennoch kletterte der Stuntfahrer vollkommen unverletzt aus der verformten Sicherheitsfahrgastzelle. Exakt so, wie er es schon 30 Mal zuvor praktiziert hatte. Nicht ganz so dramatisch war der weltweit demonstrierte Werbegag von Volvo-Fahrzeugen, die über einem Abgrund an Sicherheitsgurten aufgehängt wurden. Natürlich hatte Volvo das geniale Konzept des Dreipunkt-Sicherheitsgurtes zum Patent angemeldet, gab dieses aber bald zur Nutzung für alle Hersteller frei. Dennoch sollte es in Deutschland bis 1974 dauern, ehe es zu einer Einbaupflicht für Neuwagen kam. Der Gedanke, sich im Auto mit einem Band zu fesseln, löste sogar bei Fachleuten lange zu viele irrationale Ängste aus.

Kultstatus erlangte der Volvo PV 544 mit seinen nicht integrierten Kotflügeln und einem runden Rücken im Stil amerikanischer Fließheckmodelle der 1930er und -40er allerdings durch andere Eigenschaften. Das als „Family-Sportscar“ beworbene erste schwedische Volksauto für den Weltmarkt beeindruckte durch formidable Fahrleistungen, den Volvo P 210 Duett als Kombiableger und eine legendäre Langlebigkeit. Vor allem die Nehmerqualitäten und Laufleistungen wurde zum Kennzeichen des buckligen Wikingers, der in dieser Disziplin sogar seinen buckligen Wolfsburger Konkurrenten übertraf. Mit 100.000 Meilen (160.000 Kilometer) erreichten die Volvo PV (= Personvagn also Personenwagen) angeblich erst den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit, während die Volumenmodelle vieler anderer Marken dann bereits die vierte reguläre Motorenrevision absolvierten. Weshalb der bis 1965 gebaute PV 544 tatsächlich bis heute vereinzelt im skandinavischen Straßenbild auftaucht und als Duett noch immer gerne die automobile Hauptrolle in sonntäglichen deutschen TV-Schmonzetten zum Thema Schweden ausfüllt.

Wahrscheinlich liegt letzteres aber vor allem daran, dass dieser einst in überraschend vielen fröhlichen Sommerfarben lieferbare Oldtimer viele Facetten einer romantisch-verklärten, sorgenfreien Schwedenwelt verkörpert: Kultige, rundum sichere Volvo-Kombis vor roten oder gelben Holzhäusern und blauen Seen wecken bei Deutschen offenbar Sehnsüchte nach Bullerbü oder Schloss Gripsholm. Ein Oldie war der Volvo PV 544 übrigens schon bei seiner Vorstellung, handelte es sich bei ihm doch nur um die Weiterentwicklung des schon 1944 vorgestellten viersitzigen Vierzylinder-Modells Volvo PV 444. Trotz des 1956 lancierten Volvo Amazon in moderner Pontonform hielten die Käufer dem PV 444 mit eigentlich längst überlebtem amerikanischen Aero-Design weiterhin die Treue. Was auch daran lag, dass der Buckel über die damals geschätzten dualen Fähigkeiten verfügte als zuverlässiges Familienauto in der Woche und siegfähiger Rundkurs-Racer fürs Weekend, der sogar Porsche und MG zusetzen konnte. Gerade die Amerikaner liebten den kompakten Volvo dafür und so schenkten ihm die Schweden ein zweites Leben unter der Modellbezeichnung PV 544.

Ausgerechnet in jenem Jahr als die Heckflossen in den Himmel wuchsen und die Karosserien der Straßenkreuzer der Sechs-Meter-Marke entgegenstrebten, lancierte Volvo in Nordamerika mit dem 4,45 Meter kleinen Buckel einen Bestseller, dem damals sogar ein eigener Rock ’n‘ Roll Song gewidmet wurde: In „59 Volvo“ setzten „The Medaillons“ den sportlichen Qualitäten des PV 544 ein musikalisches Denkmal. Optisch differenzierte sich der PV 544 von seinem Vorgänger fast nur durch die um knapp ein Viertel größere Frontscheibe und das um knapp 20 Prozent gewachsene Heckfenster. Unter dem Blechkleid waren es die neue Rückbank – Nummer 544 wurde als Fünfsitzer ausgewiesen – und der nun auch in Europa verfügbare, sogenannte 85-PS-Amerika-Motor, die Schlagzeilen bewirkten. Damit lagen laut Fachpresse 160 km/h im Bereich des Möglichen. Genug Tempo, um auf Autobahnen V8-BMW und Sechszylinder-Mercedes zu scheuchen. Dies ab 1959 mit serienmäßigen Dreipunktgurten.

Volvo P210 Duett Kombiversion des Buckel  Foto: VolvoNoch flotter wurde der Volvo PV 544 mit ab 1961 installiertem 1,8-Liter-Vierzylinder und bis zu 70 kW/95 PS Leistung. Auch auf den Rallyepisten demonstrierte der Buckel seine Durchsetzungsfähigkeit bis ins letzte Jahr: Erst 1965 krönte der Schwede seine Motorsportkarriere mit einem Sieg beim härtesten Rallye-Raid der Welt, der East African Safari Rallye. Was Volvo aber im Herbst desselben Jahres nicht davon abhielt, den in Schweden, Kanada und sogar Argentinien gebauten Buckel sterben zu lassen. „Farewell, old Friend“, lautete eine wehmütige Anzeigenkampagne, die verschwieg, dass die Produktionskapazitäten für den kommenden Volvo 140 benötigt wurden. Aus diesem Grund wurde auch ein bereits geplanter PV 644 als finale Ausbaustufe der buckligen Verwandtschaft nicht mehr realisiert. Erstmals Sicherheitsgurte für Fondpassagiere gab es deshalb mit dem Volvo 140.
Noch bis 1969 in Szene setzen konnte sich jedoch die Kombiversion P 210 Duett. Dieser Transporter löste 1960 den PV 445 Duett ab und wartete neben der markanten Panoramascheibe mit einem riesigen Raumangebot für Familie, Freizeit und Handwerk auf. In seiner Strapazierfähigkeit übertraf der Duett alle Konkurrenten, konnte er doch problemlos Lasten von bis zu einer Tonne bewältigen (auch wenn die offizielle Zuladung darunter lag). In den Ruhestand geschickt wurde der Duett erst, als neue schwedische Zulassungsbestimmungen einen Produktionsstopp unausweichlich machten.


Chronik Volvo PV 544:
1942: Entwicklungsstart des ersten kompakten und bezahlbaren Volvo
1943: Ende des Jahres wird die Konzeption des PV 444 – als direkten Vorgänger des Volvo PV 544 - definiert 
1944: Volvo präsentiert am 1. September den PV 444 als erstes erschwingliches Fahrzeug aus schwedischer Produktion auf einer Automobilausstellung in Stockholm
1947: Die Auslieferung des Volvo PV 444 beginnt am 3. Februar
1949: Der 100.000. Volvo rollt im August vom Band im Werk Lundby, ein schwarzer PV 444. Serienanlauf des PV 445 als Fahrgestell mit Motor, aber ohne Karosserie. Das Chassis wird von verschiedenen Karosseriebauern als Basis für Transporter, Kastenwagen und Cabriolets genutzt 
1950: Im September geht der facegeliftete PV 444 B an den Start
1951: Erstmals führt Volvo die schwedische Neuzulassungsstatistik vor Volkswagen an mit dem PV 444 als meistverkauftem Fahrzeugtyp
1954: Im Dezember Einführung des Volvo PV 444 H mit einteiliger Heckscheibe, neuen Rückleuchten und höherer Motorleistung. Zum Modelljahr 1955 beginnt offiziell der US-Export von Volvo-Fahrzeugen 
1955: Der 100.000ste Buckel-Volvo PV 444 rollt vom Band. Im Sommer Serienstart des Duett 445 PH, eines Kombis mit gehobener Ausstattung. Ende des Jahres Einführung des PV 444 K mit neuem Frontdesign 
1956: Der Volvo Amazon wird eingeführt und Designentwürfe für eine Weiterentwicklung des PV 444 als PV 544 werden vorgestellt
1958: Gunnar Andersson gewinnt die Rallye-Europameisterschaft auf PV 444. Nachfolger des PV 444 wird die Weiterentwicklung Volvo PV 544, vorgestellt am 25. August. Volvo Deutschland geht an den Start. Zu den ersten Modellen im Programm zählt der Volvo PV 544, der anfangs vor allem an in Deutschland stationierte US-Soldaten verkauft wird 
1959: Serienmäßig Dreipunkt-Sicherheitsgurte für die Vordersitze bei Volvo PV 544 und Volvo P 120 Amazon. Auch Saab liefert seine Fahrzeuge mit Sicherheitsgurten aus. In Deutschland sorgen Volvo PV 544 bei Motorsporteinsätzen wie der Rallye Solitude für Furore (Sieg des PV 544 vor drei Borgward Isabella). Der Stuttgarter Eberhard Mahle siegt bei neun von zehn deutschen Tourenwagenrennen mit seinem PV 544. Mit 51.560 Einheiten erlebt die PV-544-Produktion ein Allzeithoch 
Der PV544 siegt bei der Safari-Rallye  Foto: Volvo1960: Im Sommer mutiert die Kombi-Baureihe Duett PV 445 zum Duett P 210, so wie der Basis-Pkw PV 444 zum PV 544 weiterentwickelt wurde. Tom Trana gewinnt 1960 und 1961 die schwedische Tourenwagenmeisterschaft mit dem PV 544. Der Gran Premio de Argentina (4.650-Kilometer-Langstreckenrallye) wird von Gunnar Andersson auf PV 544 gewonnen
1961: Ab August mit neuem B18-Motor und Leistungswerten zwischen 75-SAE-PS und 90 SAE-PS im Volvo PV 544 C. Außerdem 12-Volt-Anlage statt der bisherigen 6-Volt-Technik. Beim Rennen auf dem Hockenheimring dominieren PV 544. In British Columbia (Kanada) gewinnt ein PV 544 seine Klasse bei der 6.500-Kilometer-Langstreckenrallye und belegt den dritten Gesamtrang  
1962: Nach der Borgward-Insolvenz wechseln große Borgward-Händler zum direkten Wettbewerber Volvo. Volvo Deutschland registriert 807 Zulassungen, die Bekanntheit der Marke ist aber groß dank diverser Sicherheitsdemonstrationen und -Kongresse und Motorsportaktivitäten mit den PV 544 und Amazon, für die eine eigene Rennabteilung eingerichtet wurde. So brilliert der PV 544 beim Flugplatzrennen in Pferdsfeld. Neuer B-18-Motor lässt den Volvo P 210 Duett auf 60 PS erstarken, außerdem Implementierung der 12-Volt-Elektrik. Markteinführung des Amazon Kombi als designierter Nachfolger des P 210 Duett, allerdings verhindert die anhaltende Nachfrage nach dem Duett dessen Einstellung. Start des PV 544 bei der Internationalen Tulpen Rallye. Im Herbst 1962 Lancierung der Serie PV 544 D mit besserer Korrosionsvorsorge der Karosserie und anderen Radabdeckungen (großes V)  
1963: Im August Einführung der Serie PV 544 E mit neuem Dachhimmel und grüner Instrumentenbeleuchtung. Tom Trana gewinnt auf Volvo PV 544 die Mitternachtssonnen-Rallye, die britische RAC-Rallye (wie schon 1962) und die Rallye Akropolis und sichert sich den Titel des Rallye-Europameisters 
1964: Mit 1.050 Einheiten werden die Zulassungen bei Volvo Deutschland erstmals vierstellig. Betont sportiv gibt sich der Volvo PV 544 F, der ab August ausgeliefert wird. Tom Trana gewinnt auf PV 544 u.a. die Akropolis-Rallye
1965: Der Volvo PV 544 „Buckel-Volvo“ krönt seine große Motorsportkarriere mit einem Sieg beim härtesten Rallye-Raid der Welt, der East African Safari Rallye. Bis zu 95-SAE-PS entwickelt der im August eingeführte PV 544 G. Im Oktober endet die Fertigung des Volvo PV 544. Der letzte, der 440.000ste PV 544, rollt am 20. Oktober um 15:00 Uhr vom Band ins Museum. Die vorletzten 26 Buckel-Volvo werden verlost unter der Volvo-Belegschaft bzw. unter Mitarbeitern von Zulieferern. Einige der Gewinner fahren ihre ebenfalls am 20. Oktober feierlich übergebenen Fahrzeuge rund 30 Jahre im Alltagseinsatz. Ungeachtet der 1965 erfolgten Einstellung des Volvo PV 544 läuft die Fertigung des Volvo P 210 Duett weiter. Nachfolger der PV 544 sollte zunächst der Typ PV 644 werden, ein modifizierter Buckel-Volvo mit einem Kühlergrilldesign im Stil des künftigen Volvo 164 und hinterem Fließheck mit angedeuteter Stufe. Allerdings blieb es bei Studien, zumal Volvo Kapazitätsengpässe im Werk befürchtete nach Anlauf des Typs 140
1967: Markteinführung des Volvo 145, der sowohl Amazon Kombi als auch Duett ersetzen soll
1969: Die Produktion des Volvo Duett P 210 – und damit der letzten Variante des Volvo PV 544 - wird am 19. Februar eingestellt, da der Duett die schwedischen Sicherheitsauflagen für Neuzulassungen nicht mehr erfüllt. Die letzten Einheiten werden deshalb noch als Modelljahr 1968 deklariert


Motorisierungen:
Volvo PV 544 (1958-1965) mit 1,6-Liter-Vierzylinder (44 kW/60 PS bis 63 kW/85 PS) bzw. mit 1,8-Liter-Vierzylinder (55 kW/75 PS bis 70 kW/95 PS)

Produktionszahlen:
Volvo PV 444 und PV 544 (1947 bis 1965) insgesamt 440.000 Einheiten, davon 
Volvo PV 544 (1958 bis 1965) insgesamt 244.041 Einheiten (nach anderen Quellen 243.990), zuzüglich Volvo P 210 Duett (1960-1969) insgesamt 55.508 Einheiten.

Wolfram Nickel/SP-X

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