50 Jahre Ford Escort - Heißsporn mit Hundeknochen
06.11.2017 - Wolfram Nickel/SP-X
Vor dem Vergessen bewahren den Ford Escort seine Erfolge als wilder Rallye-Reiter mit kuriosem Kühlergrill in Hundeknochenform. Viel wichtiger war aber einst seine Rolle als Herausforderer von Kleinwagenstars wie Käfer und Kadett.SP-X/Köln. An Brexit dachte vor 50 Jahren noch niemand. Im Gegenteil, die Briten begehrten die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und Ford diente als Vorbild. Wurden doch damals gerade die verschiedenen europäischen Ford-Töchter unter dem Dach von Ford of Europe vereinigt und der passgenau serienreife Escort als erstes paneuropäisches Pkw-Modell vorgestellt. Gerechnet hatten die Konstrukteure der kompakten Baureihe damit nicht, denn der in Großbritannien entwickelte Escort sollte ursprünglich als Nachfolger des Ford Anglia reüssieren, eines skurrilen Kleinwagens, der außerhalb Englands nur als Harry Potters Zauberauto Bekanntheit erlangte. Entsprechend überrascht war 1967 vor allem die Kölner Ford-Dependenz, die den 4,05 Meter langen Escort als Einstiegsbaureihe erhielt, um damit Erfolge gegen die Millionseller Opel Kadett und VW Käfer einzufahren.
Tatsächlich hatte der angelsächsische Ford in Deutschland keinen leichten Start, denn mit hinterer Starrachse und Trommelbremsen waren die Limousinen und Kombis alles andere als fortschrittlich, zumal im Vergleich mit dem frontangetriebenen Taunus 12 M. Richtig in Fahrt kam die Karriere des Kleinen mit dem Kühlergrill in Hundeknochenform hierzulande erst, als der Escort 1970 aus dem neuen Werk in Saarlouis rollte und die in England von Beginn an populären Sportversionen nachgelegt wurden. „Freche Schnauze und innere Werte“, freute sich nun die deutsche Ford-Werbung.
Für Emotionen sorgte der Escort durch freches Coke-Bottle-Design mit Hüftschwung und feurige Lotus-Twin-Cam- und Cosworth-Racer. Über 200 km/h schnelle Brandstifter, die bei Rallyes und Rundstrecken so oft triumphierten, dass sie sogar die biederen Basis-Escort mit Sport-Appeal aufluden und vergessen ließen, dass diese 29 kW/40 PS-Knauserer im Alltag kaum einem Käfer oder kleinen Austin davonfahren konnten. Wohl wissend, dass es auf die potentiellen Rallyechamps ankommt, hatten die Briten zur Pressepräsentation des ersten europäischen Ford-Pkw-Modells eigens zwei 80 kW/109 PS starke Escort Twin Cam vorbereitet. Diese Renner sollten den europäischen Journalisten auf neutralem marokkanischen Boden Lust auf den heißen Hundeknochen machen. Ein Coup, der aufging, gaben sich die 1,6-Liter-Twin Cam doch sogar rasanter als die Sportwagen-Ikonen MGB und Triumph TR5 und gewannen so auf Anhieb die tempohungrigen Herzen der versammelten Journaille. „A Winner for Britain“ und „A Winner for Ford of Europe“ lauteten denn auch die Schlagzeilen.
Allein die deutschen Medien blieben reserviert. Sie wurden nach Berlin eingeladen, wo das bis dahin kleinste Einstiegsmodell ins Kölner Ford-Programm seine Qualitäten im Großstadtverkehr zeigen sollte. Was dem Escort durchaus gelang, war er doch beachtliche 34 Zentimeter kürzer als der Ford 12 M und auch handlicher als ein Opel Kadett, dazu mit Preisen ab 5.395 Mark billiger als vergleichbare VW Käfer. Mehr noch, der Ford unterbot im Kostenkapitel sogar Zweizylinder-Zwerge wie Daf 44 und Citroen Ami. Andererseits konnte, wer wollte, seinen Spar-Escort auch zum sportlich angehauchten 1300 GT mit 47 kW/64 PS aufrüsten. Mehr Power gab es auf dem Kontinent anfangs nicht, denn hier konzentrierte sich die sportive Aufmerksamkeit vorläufig auf das Familiencoupé Capri, das kurz nach dem Escort startete und Ford in eine neue Umlaufbahn schoss.
Der „Renner vom Rhein“, wie die Medien den Capri nannten, trieb den Marktanteil von Ford Deutschland im Jahr 1969 auf sensationelle 15,7 Prozent. Gewinner tragen Rallyestreifen, lautete nun das Branchencredo und Ford adaptierte den Escort für ganz Europa entsprechend. Passend zum Produktionsanlauf im neuen Werk Saarlouis gab es 1970 einen Escort-Markenpokal und RS-Versionen für die Straße. Schließlich hatte Ford eine Motorsportabteilung eingerichtet, die beschäftigt werden wollte. So beflügelte der ursprünglich für den Capri konstruierte Cosworth-BDA-Motor nun auch den neuen Escort RS 1600, erst bei 180 km/h verhinderte der Drehzahlbegrenzer weitere Beschleunigung dieser Rallye-Homologationsversion. Die internationale Rallye-Meisterschaft für Marken hatte der Escort bereits gewonnen, aber Ford wollte noch eins draufsetzen und auch Fußballfans für sich begeistern. So schickte der damals drittgrößte europäische Autobauer 1970 den Torschützenkönig Jimmy Greaves in einem Escort auf die 26.000-Kilometer lange World-Cup-Rallye von London nach Mexiko.
Startpunkt für alle Teams in dieser damals härtesten Langstreckenrallye war das Londoner Wembley Stadion, der Zieleinlauf erfolgte fünf Wochen später in Mexico City, passgenau zum Beginn der neunten Fußball-Weltmeisterschaft - für den Escort ein genialer Marketingcoup. Nicht nur weil ein von Rallyechampion Hannu Mikkola pilotierter Escort den Gesamtsieg errang und sich Fußballer Jimmy Greaves wider Erwarten bis auf Platz sechs vorkämpfte. Sondern auch, weil sich der Escort Mexico so als bis heute unvergessene Rallye-Ikone etablierte. In Deutschland kam die Straßenversion des Escort Mexico zwar nicht in den Handel, dafür legte Ford nun noch mehr Wert darauf, die Wettbewerbsstärke seines Einsteigermodells zu betonen. „Prädikat: besonders siegreich“, „Deutschlands sportlichste Familie“ und „Sieger, Sieger, Sieger... Escort“ lauteten die Kölner Kampagnen, bevor 1973 der Ford Escort RS 2000 „Das Erbe der großen Rallye-Sieger“ auf die Überholspur brachte.
Dieser kompakte Kracher kam gerade recht, um den inzwischen sechs Jahre alten Escort gegen den brandneuen Opel Kadett C nachzuschärfen. Mit 74 kW/100 PS leistete der ausschließlich zweitürig lieferbare „Rallye-Sport 2000“ satte 40 PS mehr als das damals stärkste Kadett Coupé. Und im Tempo-100-Sprintduell ließ der 915 Kilogramm leichte Hundeknochen mit markanter weiß-blauer Kriegsbemalung nicht einmal dem Porsche 911 T eine Chance. Gut 5.200 Einheiten verkaufte Ford von diesem Vorläufer aller GTI und GTE, eine stolze Stückzahl, die nur durch die erste Ölkrise eingebremst wurde.
Der Escort war nun in ganz Europa etabliert und erreichte als erster außerhalb Amerikas gebauter Ford eine Zwei-Millionen-Auflage. Darunter waren neben den konventionellen Stufenhecklimousinen auch exzentrisch gestaltete zweitürige „Turnier“-Kombis, die mit überlangen hinteren Seitenfenstern an exklusive Shooting-Brakes erinnerten. Für Furore sorgte der Escort überdies als Kunstinstallation des Aktionskünstlers HA Schult. Im Herbst 1971 platzierte HA Schult drei bunte Viertürer mitten in Köln als „Blutorangefarbene Signale in städtischer Landschaft“ mit steckendem Zündschlüssel. Neugierige Passanten konnten mit den Escort losfahren und sich mit dem Künstler via Funkgerät unterhalten. Eine Art-Car-Aktion, die Ford nachhaltig ins Gespräch brachte.
Insgesamt erzielte die erste Escort-Generation 2,14 Millionen Einheiten, von denen nur 234.000 deutsche Käufer fanden. Vielleicht ein Grund, warum Ford Köln bei der Entwicklung des 1975 vorgestellten Escort MK II die entscheidende Rolle übernommen hatte.Aber das ist eine andere Geschichte. (Wolfram Nickel/SP-X)
Chronik:
1964: Entwicklungsbeginn für einen Kleinwagen, der die Nachfolge des Ford Anglia übernehmen soll
1966: Auch eine Fließheckversion des Escort wird als Konzept entwickelt mit Markteinführung zum Modelljahr 1970. Das Vierganggetriebe für den Escort wird in Köln entwickelt, aber zunächst ausschließlich in Großbritannien gebaut
1967: Ford of Europe wird gegründet. Erstes paneuropäisches Ford-Pkw-Modell wird der Escort. Der Escort wird im Herbst in London auf einer Vorpräsentation gezeigt und dies als designierter Nachfolger des Ford Anglia. Die Volumenproduktion startet am 16. November, vier Tage vor dem Aus für den Anglia
1968: Offizielle Publikumspremiere feiert die erste Generation des Escort im Januar auf dem Salon in Brüssel mit fünf Motoren und Leistungswerten von 40 bis 64 PS. Auf Märkten wie Italien und Frankreich werden auch steuerbegünstigte 1,0-Liter-Escort mit 34 und 36 PS verkauft. Der Verkaufsstart in Deutschland erfolgt kurz nach der Pressepremiere in Berlin am 27. August. In England läuft schon im April das 100.000ste Exemplar vom Band. Ab September wird der Escort auch im belgischen Werk Genk gebaut. Außerdem startet die Escort-Fertigung in Israel, die bis November 1975 andauert
1969: Ab Februar wird die Hinterachse für den Escort aus deutscher Fertigung zugeliefert. Vorstellung von Escort 1300 GT Gruppe 2 mit 130 PS und Escort Twin Cam Gruppe 2 mit 165 PS im März, im April folgt der Escort Turnier. Anlässlich der IAA in Frankfurt wird im September die viertürige Limousine präsentiert, außerdem gibt es auf verschiedenen Märkten eine Lieferwagenversion. Produktionsbeginn in Neuseeland
1970: Ford Deutschland schreibt einen Markenpokal für den Escort aus. Im Januar erfolgt der Produktionsstart des Escort im Werk Saarlouis. Im Mai neue Getriebe und im September anlässlich eines Facelifts leistungsstärkere Motoren mit 44 bis 72 PS. Außerdem erhalten zum Modelljahr 1971 alle Escort Längslenker für die hintere Starrachse sowie eine neue Fahrwerksabstimmung. Escort GT ab sofort mit schwarz lackiertem Kühlergrill und mattschwarzem Heckabschluss, Escort L mit Stoßstangenhörnern und hochwertigerer Innenausstattung (Teppiche, hintere Haltegriffe, mehrstufiger Scheibenwischer, Scheibenwaschanlage etc.). Im November läuft in Großbritannien die Produktion des sportlichen Mexico an, nachdem der Escort auch bei der damals härtesten Langstreckenrallye von London nach Mexiko unter den Piloten Hannu Mikkola und Gunnar Palm siegte. Australien nimmt die Fertigung des Escort auf (67.146 Einheiten bis 1975)
1971: Im August deutscher Marktstart für den 72 PS starken Escort Sport mit GT-Fahrwerk, verbreiterten Kotflügeln, runden Scheinwerfern und Drehzahlmesser. Am 18. Oktober läuft nach vier Produktionsjahren der einmillionste Escort von britischen Produktionsbändern. Der Aktionskünstler HA Schult macht im Oktober drei orangerote Escort zum Mittelpunkt einer spektakulären Kunstinstallation in der Kölner Innenstadt. Passanten werden aufgefordert mit den Escort durch die Stadt zu fahren und einem mitfahrenden Psychologen sowie via Funkkontakt an HA Schult über ihre Gefühle zu sprechen
1972: Ab August zeigen sich alle Escort mit schwarzem Kühlergrill und Detailmodifikationen im Interieur
1973: Ab Januar startet das Escort-Programm mit 48 PS Leistung, optional ist aber ein 44 PS-Motor lieferbar. Der Bremskraftverstärker ist nun serienmäßig. Im Juni Verkaufsbeginn des 100 PS leistenden Ford Escort RS 2000, die Auslieferung erfolgt über Ford-Rallye-Sport-Händler. Der RS 2000 wird zuerst ausschließlich in England produziert, später wegen langer Lieferzeiten auch in Saarlouis. Ab September gibt es für alle Escort-Modelle optional Dreipunkt-Sicherheitsgurte vorn
1974: Der Escort GT wird vom GXL mit Kunstlederdach abgelöst. Im Juni läuft der zweimillionste Escort vom Band. Damit ist der Escort das erfolgreichste Ford-Modell außerhalb Nordamerikas. Neu ist das Sondermodell Escort Strada. Ende des Jahres verlängert Ford Deutschland die Werksgarantie von sechs Monaten auf ein Jahr oder 20.000 Kilometer. Im Dezember endet die Produktion der ersten Generation des Escort nach insgesamt 2.145.656 Einheiten. 848.388 Escort fertigten die deutschen Ford-Werke, davon fanden 234.667 Exemplare deutsche Käufer
1975: Auf technischer Basis der ersten Generation erscheint im Januar der Escort II. Entwickelt wurde dieses Nachfolgemodell von Ford Deutschland
1980: Vorstellung der dritten Escort-Generation
1987: Am 7. Februar rollt der sechsmillionste Escort vom Band
1990: Im Oktober wird die vierte Generation des Escort eingeführt
1998: Im Oktober geht der Focus an den Start als Nachfolger des Escort
2000: Die Produktion des Ford Escort endet im Juli.
Wichtige Motorisierungen:
Ford Escort 1100 mit 1,1-Liter-Vierzylinder (29 kW/40 PS bzw. 32 kW/44 PS bzw. 33 kW/45 PS bzw. 35 kW/48 PS),
Ford Escort 1300 mit 1,3-Vierzylinder (35 kW/48 PS bzw. 38 kW/52 PS bzw. 40 kW/54 PS bzw. 42 kW/57 PS bzw. 47 kW/64 PS bzw. 53 kW/72 PS),
Ford Escort 1600 Twin Cam und RS mit 1,6-Liter-Vierzylinder (80 kW/109 PS bzw. 89 kW/120 PS),
Ford Escort 2000 mit 2,0-Liter-Vierzylinder (74 kW/100 PS).
Preise:
Ford Escort 1100 (40 PS) ab 5.395 Mark, Ford Escort 1100 Turnier ab 5.825 Mark, Ford Escort 1300 (48 PS) ab 5.705 Mark, Ford Escort 1300 (52 PS) ab 5.783 Mark, Ford Escort 1300 Turnier ab 6.083 Mark, Ford Escort 1300 GT (64 PS) ab 6.593 Mark, Ford Escort 1300 Sport (72 PS) ab 6.995 Mark, Ford Escort RS 2000 ab 10.400 Mark.
Fotos © Ford
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