Himmlisch schnell und teuflisch teuer
26.09.2017 - Wolfram Nickel/SP-X
Porsche und Ferrari fanden als erste die Power, die 300-km/h-Schallmauer einzureißen und rekordverdächtig schnelle Tempobolzer auf Autobahnen zu schicken. Die Antworten von Aston Martin, Bugatti, Jaguar und Lamborghini ließen nicht lange auf sich warten.SP-X/Köln. Ausgerechnet in den Achtzigern, jenem Jahrzehnt der Diskussionen um Katalysatorpflicht, Ölpreiskrisen und striktere Tempolimits war die Sportwagenwelt im Geschwindigkeitsrausch. Der Vmax-Himmel begann endlich oberhalb von 300 km/h, einer lange Zeit magischen Marke, die 1987 von den Tachonadeln gleich mehrerer Supercars getoppt wurde. Zwar hatten Ferrari, Lamborghini oder Iso Rivolta ihren Kunden dieses Tempo schon seit fast zehn Jahren versprochen, es blieb aber ein Wunschdenken, das erst jetzt Wirklichkeit wurde.
Eröffnet wurden die Vmax-Festspiele im Frühjahr 1987 vom 331 kW/450 PS starken Porsche 959, den die Fachpresse und prominente Fahrer wie Stardirigent Herbert von Karajan auf 315 km/h beschleunigten. Ein Bestwert, der nur bis Juli 1987 Bestand hatte, denn dann stieß Enzo Ferraris letztes großes Werk, der F40, in höhere Vmax-Sphären vor. Vollgas-Ansagen, auf die der keilförmige Lamborghini Countach trotz Nachschärfung keine überzeugende Antwort fand. Wohl aber ein mit 349 km/h gemessener Jaguar XJ 220 und vor allem der über 350 km/h schnelle Bugatti EB 110, den sich sogar Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher für seine Garage gönnte. Bugattis fast schon irrsinnig hohe Preisforderung von rund 700.000 Mark irritierte Schumacher offenbar nicht, vielleicht weil für den Jaguar XJ 220 ebenso wie für gebrauchte (!) Porsche 959 sogar ein Millionenbetrag fällig geworden wäre.
Heute, in der Ära von Bugatti Chiron, Koeniggsegg Regera und rasenden Tuning-Projekten wie 9ff GT9, können Sportwagenfans nur mitleidig lächeln, wenn an die einstige, undurchdringliche 300 km/h-Schallmauer erinnert wird. Schließlich brennen die Boliden des 21. Jahrhunderts längst die Zahl 400 in den Asphalt – theoretisch. Echte Messfahrten sind mit diesen Tempogiganten mangels geeigneter Pisten meist gar nicht mehr möglich und selbst von einem Bugatti-Rekordfahrer auf dem VW-Versuchsgelände Ehra-Lessien wurde berichtet, dass Autos in Tempobereichen jenseits von 400 eigentlich nichts zu suchen haben. Schließlich sei man dann mehr Passagier als Fahrer. Gleiches wussten Piloten italienischer Hypersportler zu erzählen, die sich ab Ende der 1960er Jahre auf öffentlichen Straßen an die 300-km/h-Marke herantasteten – sie dann aber aus anderem Grund verfehlten. Es fehlte den Geschossen schlicht an genügend Muskelmasse bzw. PS, um die Prospekt-Versprechen einzulösen. Weder dem Iso Grifo gelangen die 300 noch dem ab 1974 verkauften Lamborghini Countach.
Im Testalltag war der von Marcello Gandini als messerscharfer Keil gestaltete Countach nur 288 km/h schnell, was dem Lambo aber immer noch reichte, um sich bis 1987 als rasantester - und lautester (95 Phon (dBA) bei 200 km/h) – Sportwagen der Welt würdigen zu lassen. Wurde der 441 kW/600 PS starke Prototyp Countach Evoluzione doch damals in Nardo mit einem Rundendurchschnitt von 314,1 km/h registriert. Wohlgemerkt war es ein Prototyp, aber dessen Messwerte überhöhten den Mythos Countach derart, dass sich die Serien-Countach fortan besser denn je verkauften und viele Lambo-Fans die Realität schlicht ignorierten. Etwa den schon 1984 eingeführten Ferrari 288 GTO, der ein Resultat der wildesten Rallye-Bewegung aller Zeiten war. Sorgte doch damals die berüchtigte Gruppe B für Furore, in dem sie bis zu 600 PS starke Fahrzeuge auf die Pisten schickte – bis tödliche Unfälle zum Aus führten. Nicht so für die straßentauglichen Homologationsversionen der Gruppe-B-Sportler, die etwa als 305 km/h schneller Ferrari 288 GTO und als Porsche 959 mit Biturbo-Boxer in den Handel kamen.
Der Zuffenhausener platzierte gleich einen Dreifach-Aufschlag, der an Wirkung kaum zu überbieten war. Zuerst feierte das Publikum den Porsche bei der IAA 1985 als schnellstes Auto der Welt mit Allradantrieb. Dann erkämpften drei weitgehend serienmäßige Porsche 959 die Plätze 1, 2 und 5 bei der Rallye Paris-Dakar 1986 und ein Jahr später wurden die ersten Kundenautos gefeiert als Technologieträger und Vorboten des neuen Jahrtausends. Immerhin warnte beim 959 erstmals ein Reifendruckkontrollsystem an den Magnesiumrädern vor plötzlichem Druckverlust. Komponenten aus Kevlar, Polyurethan und Aluminium kündeten von wegweisendem Leichtbau für mehr Effizienz und der Allradantrieb sowie Hochleistungsbremsen mit neuem ABS standen für mehr Sicherheit. Diese Neuerungen beendeten damals übrigens sogar eine politische Diskussion über Sinn oder Unsinn solcher automobiler Powerpakete in Zeiten von Waldsterben und Umweltschäden durch Katastrophen wie Tschernobyl. „Sicherheitstechnik, die gut ist für 300 km/h, ist auch für 100 km/h gut“, erklärte etwa ein Frankfurter Architekt und Umweltkämpfer anlässlich der IAA-Premiere des Porsche. Für fast alle 959-Besitzer, darunter Boris Becker, Bill Gates oder Popsänger Falco, blieb der limitierte Kleinserien-Sportler aber vor allem Fahrspaßmaschine.
Nebenbei war er eine Geldanlage mit Wertsteigerungsgarantie. So wurde der offiziell 420.000 Mark teure Boxer schon als junger Gebrauchter zu Preisen jenseits einer Million Mark gehandelt. Superlative, die andere Vmax-Marken animierten, einen regelrechten Supercar-Hype auszurufen. Aston Martin besann sich seines V8 aus den 1960er Jahren und entlockte diesem im Vantage 279 kW/379 PS für 273 km/h. Zu wenig für ein echtes Speedsymbol, wusste Karossier Zagato, der deshalb für die James-Bond-Marke die Hochleistungsversion Vantage Zagato auflegte. Pech für Aston Martin, dass der Zagato in Tests das Ziel von 300 km/h stets knapp verfehlte.
Dafür garantierte Enzo Ferraris finales Fahrzeug einen Ritt auf der Rakete, der selbst die Werte des Porsche 959 pulverisierte. 324 km/h versprach der F40 als bis dahin schnellster Straßen-Ferrari. Und der von Pininfarina dramatisch gestylte V8 hielt dieses Tempoversprechen auch, immerhin galt es 1987 den 40. Geburtstag der Marke aus Maranello zu zelebrieren. Dieses Superauto der späten Achtziger betörte nicht nur die Fans, sondern auch den Hersteller, so dass er die ursprünglich auf 450 Einheiten limitierte Serie auf 1.315 Fahrzeuge erweiterte. Dem Wertzuwachs schadete es nicht. Schon 1989 wurden für F40 über 3,2 Millionen Mark bezahlt, das Achtfache des anfänglichen Preises.
Auch Jaguar wollte deshalb die Reichen mit einem Rekordbrecher versorgen und präsentierte 1988 den XJ220 als bis dahin schnellsten Sportwagen mit Straßenzulassung. Signalisierte der Typencode des 404 kW/550 PS freisetzenden Twin-Turbo-V6 doch eine Vmax von 220 mph (354 km/h). Einfangen ließ sich die eine Million Mark teure Wildkatze nur durch eine weltweite Wirtschaftsflaute. Plötzlich sprangen die Kunden reihenweise von den Kaufverträgen ab und das Speedsymbol stand sich ebenso wie der 1991 vorgestellte 350-km/h-Bugatti EB 110 aus dem Unternehmen des Finanzmaklers Romano Artioli in den Showrooms die Gummis platt. Der Magie schneller Tempobolzer schadet dies bis heute nicht, wie gerade erst wieder die Sportschau auf der Frankfurter IAA bewiesen hat. (Wolfram Nickel/SP-X)
Chronik Tempo-300-Sportwagen:
1971: Auf dem Genfer Salon präsentiert Bertone den Prototyp des Lamborghini Countach, den LP 500, der laut Pressemitteilung 300 km/h schnell ist. Spätere Serienfahrzeuge werden aber nur mit 280 bis 290 km/h gemessen
1982: Der Lamborghini Countach LP 500 S geht mit 4,8-Liter-Motor in Serie und erreicht angeblich Tempo 300. Für die Rallye-Gruppe-B lanciert Porsche das Entwicklungsprojekt 959
1983: Im September feiert der Porsche 959 als Gruppe B-Prototyp Weltpremiere auf der Frankfurter IAA. Die zur Gruppe-B-Homologation notwendigen 200 Kunden-Bestellungen für Straßenversionen des 959 sind für Porsche kein Problem. Im Gegenteil, die Nachfrage ist größer als die geplante Auflage
1984: Entwicklungsstart für das Lamborghini-Projekt 112, einen Countach-Nachfolger. Der 441 kW/600 PS starke Versuchsträger des Projekts 112, der Prototyp Countach Evoluzione, erreicht in Nardo einen Rundendurchschnitt von 314,1 km/h. In einer Auflage von zwei Einheiten entsteht der Lamborghini Countach Turbo S mit 550 kW/748 PS Leistung. Jaguar-Chefkonstrukteur Jim Randle entwickelt die Idee eines neuen Aushängeschildes der britischen Automobilindustrie, eines Supersportwagens von Jaguar. Zusammen mit einem Team aus Ingenieuren und Enthusiasten startet Randle die Entwicklung des vorläufig Jaguar XK 220 genannten Sportwagens. Auf dem Genfer Salon wird der Ferrari 288 GTO als bis dahin schnellster Straßen-Ferrari vorgestellt. Gedacht war er als Homologationsserie für die Rallye-WM der Gruppe B. Bis Ende 1985 wurden 277 Ferrari GTO inklusive Evoluzione-Serie gebaut. Niki Lauda erhielt noch 1986 ein Exemplar als Geschenk
1985: Weltpremiere für die Serienversion des Porsche 959 auf der Frankfurter IAA
1986: Aston Martin lanciert das von Zagato karossierte Hochleistungsmodell V8 Vantage Zagato, das auf dem V8 Vantage basiert und in einer Auflage von 50 Einheiten gebaut wird. Tests der Fachpresse ermitteln, dass Aston Martin das selbst gesteckte Ziel einer Vmax von 300 km/h knapp verpasst. Sensation bei der Rallye Paris-Dakar, denn die Plätze 1, 2 und 5 gehen an Porsche 959. Die Fahrzeuge entsprechen bis auf die erhöhte Bodenfreiheit weitgehend der Serienversion. Dies jedoch mit einer Leistungsdrosselung auf 249 kW/400 PS, um kompatibel zu sein für die afrikanischen Kraftstoffqualitäten. Bei den 24 Stunden von Le Mans erzielt der Porsche 959 unter der Bezeichnung 961 einen Klassensieg
1987: Der endgültige Name Jaguar XJ 220 wird festgelegt. Sponsorensuche bei über 40 Zulieferern der britischen Automobilindustrie für den Imageträger. Drei Unternehmen beteiligen sich schließlich: FF Developments (Allradantrieb), Park Sheet und Alcan (Fahrwerk und Karosserie). Von der Straßenversion des Porsche 959 werden 113 Einheiten produziert. Die Karosserie ist selbsttragend mit Komponenten aus Kevlar (u.a. Dach, Kotflügel), Polyurethan (Frontschürze) und Aluminium (Hauben und Türen), die Motorisierung erfolgt durch einen luftgekühlten 2,85-Liter-Biturbo-Sechszylinder-Boxer, Allradantrieb mit vier je nach Fahrbahnbeschaffenheit (Trockenheit, Nässe, Eis und Traktion) vorwählbaren Fahrprogrammen. Der Ferrari F40, das letzte unter der Regie von Enzo Ferrari, entwickelte Fahrzeug, wird präsentiert anlässlich des 40. Unternehmensjubiläums. Der F40 ist der bis dahin schnellste und stärkste Ferrari für den Straßeneinsatz
1988: Enzo Ferrari stirbt am 14. August im Alter von 90 Jahren. Nur ein Jahr später werden für neue F40 von Fans bis zu 3,2 Millionen Mark bezahlt und auch der 288 GTO erzielt Preise jenseits einer Million Mark. Zum 25jährigen Unternehmensjubiläum stellt Lamborghini den Countach 25 vor, der als Antwort auf Porsche 959 und Ferrari Testarossa gesehen wird. Der Jubiläums-Lamborghini wird zum meistproduzierten Countach-Typ aller Zeiten, bleibt aber mit 295 km/h unter der 300-km/h-Marke. Auf der Birmingham Motorshow debütiert die Studie des Jaguar XJ 220 mit Allradantrieb und V12-Motor. Nach insgesamt 292 Einheiten läuft die Produktion des Porsche 959 aus
1989: Gründung der Bugatti Automobili SpA, nachdem der Finanzmakler Romano Artioli zwei Jahre zuvor die Namensrechte an Bugatti erworben hatte. Unter der technischen Leitung von Paolo Stanzani und unter dem Designchef Marcello Gandini wird der Supersportler Bugatti EB 110 als erster neuer Bugatti seit 1956 entwickelt. Der Edeltuner Koenig Specials (München) präsentiert einen Lamborghini Countach 5,4 L mit bis zu 515 kW/700 PS starkem Doppelturbo-V12
1990: Am 4. Juli fährt der letzte Lamborghini Countach aus den Werkshallen nach insgesamt über 2.000 gebauten Einheiten. Bereits im Januar feierte der Countach-Nachfolger als Lamborghini Diablo in Monte Carlo Weltpremiere. Jaguar-Prototyp 001 der Serienversion des Jaguar XJ 220 wird im Sommer vorgestellt. Jaguar-Chef John Egan kommuniziert einen Serienstart für das Folgejahr. Dabei plant er eine Auflage von 350 Einheiten, für die innerhalb weniger Tage über 1.200 Bestellungen eintreffen
1991: Am 15. September, dem 110. Geburtstag von Ettore Bugatti wird der Bugatti EB 110 als technologisch innovativster Supersportwagen mit Allradantrieb vorgestellt und ab 1992 produziert. Der Kaufpreis umfasst ein dreijähriges Wartungspaket inklusive Verschleißteile, zu den EB-110-Fahrern zählt Michael Schumacher. Nur drei Jahre später muss die Bugatti Automobili SpA Konkurs anmelden. Als EB 110 SS ist er mit 351 km/h schnellster Serienwagen der Welt. Bei Testfahrten im süditalienischen Nardo werden mit dem Jaguar XJ 220 exakt 218 mph (349 km/h) erreicht
1992: Im Juni wird das erste Kundenfahrzeug des Jaguar XJ 220 ausgeliefert. Kleinserie von acht Porsche 959, die aus Teilebeständen produziert werden, dies mit optimierter Niveauregulierung und modifizierten Stoßdämpfern. Der Preis beträgt 747.500 Mark
1994: Nach nur 275 Jaguar XJ 220 (manche Quellen sprechen von 283 Einheiten) wird die Produktion eingestellt. Später rollen aus den Produktionsanlagen Aston Martin DB7 und DB7 Vantage
Technische Daten:
Aston Martin V8 Vantage Zagato bzw. Volante (1986-1990) mit 5,3-Liter-V8 (322 kW/438 PS), Vmax ca. 300 km/h
Aston Martin V8 Vantage (1987) mit 5,3-Liter-V8 (279 kW/379 PS), Vmax 273 km/h
Bugatti EB 110 (1991/92) mit 3,5-Liter-V12 (411 kW/560 PS), Vmax 342 km/h
Bugatti EB 110 SS (1993) mit 3,5-Liter-V12 (450 kW/611 PS), Vmax 351 km/h
Ferrari 288 GTO (1984-1985) mit 2,9-Liter-V8 (294 kW/400 PS), Vmax 305 km/h
Ferrari F40 (1987-1989) mit 2,9-Liter-V8 (352 kW/478 PS), Vmax 324 km/h
Jaguar XJ220 (1991-1994) mit 3,5 Liter-V-Sechszylinder (399 kW/542 PS bis 404 kW/550 PS), Vmax 349 km/h
Lamborghini Countach LP 500 S (1982-1985) mit 4,8-Liter-V12-Zylinder (276 kW/375 PS), Vmax 300 km/h
Lamborghini Countach Quattrovalvole (1985-1988) mit 5,2-Liter-V12-Zylinder (276 kW/375 PS), Vmax 295 km/h
Lamborghini Countach 25 (1988-1990) mit 5,2-Liter-V12-Zylinder (334 kW/455 PS), Vmax 295 km/h
Porsche 959 (1987-1988) mit 2,85-Liter-Biturbo-Sechszylinder-Boxer (331kW/450 PS) Vmax über 315 km/h
Preise:
Aston Martin V8 Vantage (1987) ab 245.900 Mark
Aston Martin V8 Vantage Zagato (1986/1987) ab 156.000 US-Dollar bzw. 338.520 Mark
Bugatti EB 110 (1991) ab 690.000 Mark
Ferrari 288 GTO (1985) ab 265.000 Mark
Ferrari F 40 (1987) ab 444.000 Mark
Jaguar XJ220 Serienversion (1991-1994): ab 413.000 englische Pfund bzw. 1 Million Mark
Lamborghini Countach LP 500 S (1984): ab 199.140 Mark
Lamborghini Countach 25 (1989): ab 306.500 Mark
Porsche 959 (1987): ab 420.000 Mark (1987)
Porsche 959 Sonderserie (1992): ab 747.500 Mark
Fotos:
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