40 Jahre Mercedes-Benz T-Modell - Lust auf Luxuslaster

2017.10.12 - Wolfram Nickel/SP-X

Mit dem T-Modell wagte sich Mercedes auf neues Terrain, denn nie zuvor hatte die Marke luxuriöse Kombis gebaut. Vor 40 Jahren schien die Zeit reif für ein feines Freizeitmobil. „T“ wie Touristik und Transport hieß die fünftürige Version der W 123-Reihe of

SP-X/Köln. Das war ein Jahr! Vor 40 Jahren feierte die deutsche Automobilindustrie Rekorde bei Produktionszahlen und Gewinnen, das tiefe Absatztal der ersten Energiekrise von 1974 war endgültig Geschichte. Besonderen Anlass zur Freude gab es bei Mercedes-Benz. Die erst im Vorjahr lancierten Limousinen 200 D bis 280 E der Baureihe W 123 verzeichneten so viele Bestellungen, dass manche Kunden geduldig bis zu drei Jahre lang auf ihre Mittelklasse mit Stern warteten. Noch größere Gelassenheit benötigten ausgerechnet die Käufer der auf der Frankfurter IAA vorgestellten Kombiversion des W 123, dabei kamen die ersten werksseitig gebauten Luxuslaster doch aus dem eigens dafür eröffneten neuen Werk in Bremen. Es nützte aber nichts, Kombi-Enthusiasten, die den großzügig verglasten, fünftürigen Chromkreuzer mit optionaler, stylisher Dachreling direkt auf dem Messestand ordern wollten, mussten sich auf eine langjährige Wartezeit einrichten, derart groß war der Käuferansturm. Mit dem Startaufgebot aus 240 TD (65-PS-Diesel), 300 TD (80-PS-Diesel), 230 T (109-PS-Benziner), 250 T (129-PS-Sechzylinder-Benziner) und 280 TE (177 PS-Sechszylinder-Benziner) bereiteten die noblen Transporter den Boden für das spätere Boomsegment exklusiver Lifestyler, in dem inzwischen sogar Marken wie Jaguar oder Porsche mitmischen. Sicher, die Mercedes T-Modelle waren nicht die Urväter für die Lust auf extravaganten Laderaum, denn es gab schon amerikanische V8- und europäische Sechszylinder-Pioniere wie den Volvo 265. Aber die Benz brachen den teuren Transportern die Bahn und sind in mittlerweile sechs Generationen globale Bestseller und Produktionsmillionäre.
 
Die ersten Lademeister mit dem Stern debütierten schon in den frühen Nachkriegsjahren, allerdings wurden die Kombiversionen von Mercedes 170 V, 300 (Adenauer), Ponton und Heckflosse jeweils nur in begrenzter Stückzahl von Karossiers und Aufbauspezialisten wie Lueg, Binz, IMA oder Miesen gefertigt. Als in den Swinging Sixties sportliche Shooting Brake Modelle in Mode kamen und erste Großserienkombis elegantere Kleider anlegten, entwickelte Mercedes den Strich-Acht als attraktiven Ladekünstler. Obwohl das Fahrzeug serienreif wurde, durfte es dann doch nicht starten. Dies gelang erst der nachfolgenden Baureihe W 123, die ab 1975 mit optionaler dritter Sitzreihe als „Stationswagen“ entwickelt wurde, wovon bis heute der Buchstabe „S“ vor der internen Baureihennummer kündet. Verkauft wurde der S 123 dann unter dem Kürzel „T“ für Touristik und Transport. Gerade einmal 10.000 Einheiten konnte das neue Mercedes-Werk in Bremen im ersten Jahr produzieren, viel zu wenig für ein Auto, das die Kombiwelt so nachhaltig veränderte.
 
Dies nicht allein durch praktische Aufbauten für die schicke Dachreling in Form von Gepäckcontainern, Skiboxen, Fahrrad- und Surfboardträger. Hinzu kamen der luxuriös ausgekleidete Laderaum und eine bei Kombis bislang nicht gekannte Verarbeitungsqualität. „Da klappert und quietscht nichts“, wunderten sich kritische Fachjournalisten nach Rüttelstreckentests. Nicht einmal Volvo 265, Ford Granada oder Peugeot 504 waren so perfekt zusammengebaut, schließlich gehörten kleine Klappergeräusche damals noch zum Kombihandwerk. Außergewöhnlich war auch das elegante Design des Mercedes-Kombis, das im Dachlinienverlauf wie bei der Limousine aus einem Guss wirkte und sich damit deutlich differenzierte etwa vom Citroen CX Break oder den neuen Opel Rekord/Commodore Caravan. Nicht zu vergessen das Motorenprogramm mit technischen Spezialitäten, die einzigartig waren. Sei es der 130 kW/177 PS starke 280 TE als erster über 200 km/h schneller, klassischer Großserienkombi, der 300 TD Turbodiesel als erster aufgeladener Fünfzylinder-Selbstzünder mit 92 kW/125 PS Leistung oder der 240 TD mit 48 kW/65 PS Leistung als rollende Wanderdüne, die es auf endlose Kilometer-Laufleistungen brachte. Sogar im norwegischen Spitzbergen nahe des Nordpols wurden diese robusten Kombi-Dauerläufer deshalb als Taxi eingesetzt.
 
Für die Erprobung alternativer Antriebe schien das T-Modell nicht zuletzt dank automatischer hydropneumatischer Niveauregulierung perfekt geeignet. So startete 1982 eine Version mit schweren Akkus und Elektroantrieb und ein Jahr später wurde der 280 TE auf Wasserstoffantrieb umgerüstet. Damit setzte der Daimler ein technologisches Zeichen gegen den im gleichen Jahr lancierten, ersten Audi 100 Avant in futuristischer Kombiform. Dennoch indizierte der windschnittige und schnelle Ingolstädter, dass die Stuttgarter eine Wachablösung angehen sollten.
 
Diese erfolgte auf der IAA 1985. Dort debütierte die neue Kombi-Generation S 124, die aerodynamische Avantgarde verkörperte. Hinzu kam der weitgehende Verzicht auf Chromschmuck zugunsten einer sportiven Designlinie, die sich auch in entsprechenden Fahrleistungen spiegelte. Auch Allradantrieb gab es für den Lifestylelaster nun. Nie zuvor und nirgendwo sonst gab es bis dahin eine so große Bandbreite an Motoren in einer Kombi-Baureihe der Businessclass. Von 80 kW/109 PS bis 200 kW/272 PS reichte die Leistungsspreizung bei den Benzinern mit vier und sechs Zylindern, von 53 kW/72 PS bis 108 kW/147 PS bei den Vier-, Fünf- und Sechszylinder-Selbstzündern. Zeitweise hatten die Kunden die Wahl zwischen 15 verschiedenen Antrieben, zumal Mercedes auf der IAA 1985 das Allradantriebssystem 4Matic vorstellte und so zugleich auf die Quattro-Offensive von Audi antwortete.
 
Vier Mercedes-Augen und ein großer Kofferraum bereiteten neuen Konkurrenten wie BMW 5er Touring und Saab 9-5 Sport Combi in der zweiten Hälfte der 1990er Kummer. War doch das T-Modell der Serie S 210 ein wahrer Lademeister mit fast 2.000 Liter Stauraum, während sein markantes Vier-Scheinwerfergesicht die Überholspur freiräumte. Vor allem natürlich, wenn ein E 60 AMG mit 280 kW/381 PS freisetzendem 6,0-Liter-V8 im Rückspiegel auftauchte. Anfängliche einzelne Qualitätsprobleme dieser E-Klasse machte Mercedes mit einem Facelift vergessen. Gleiches gelang bei der 2003 eingeführten Generation S 211. Enthusiastisch fiel das Medien-Urteil aus über die 2009 präsentierte Serie S 212: „Diese unglaublichen Benz-Wissenschaftler“, gab es etwa in Großbritannien zu lesen, „sie bauen ein Auto, das das Prestigeversprechen der Marke mit frischer Bedeutung und aufgewerteter Hardware füllt“.
 
Letztere umfasste mit dem E 300 Bluetec Hybrid erstmals einen teilelektrifizierten Kombi, der den Verbrauch und damit die Steuerlast auf wichtigen Exportmärkten auf Kompaktklasseniveau reduzierte. Trotzdem sind Kombis in vielen Ländern seit der Jahrtausendwende weniger gefragt als früher, der SUV-Hype fordert Tribut. Mercedes antwortete auf diesen Trend mit dem All Terrain, einer Crossover-Version der 2016 vorgestellten sechsten Generation des E-Klasse T-Modells. Offroadtauglich gemacht durch ein Geländefahrprogramm soll sich der Kombiklassiker mit Stern auch künftig seinen eigenen Weg bahnen und Durchsetzungsfähigkeit beweisen gegenüber neuen Fünftürern wie Jaguar XF und Volvo V90.
 
 
Chronik:
1968: Entwicklungsbeginn für die Mercedes-Baureihe W 123
1976: Am 28. Januar feiert der W 123 als Limousine sein Debüt in den Schauräumen der Mercedes-Händler. Anfangs sind vier Dieselmotoren lieferbar sowie fünf Benziner. Die Sechszylinder 280 und 280 E erhalten Rechteckscheinwerfer, während alle anderen Typen an Doppelscheinwerfern, sogenannten Ochsenaugen, zu erkennen sind
1977: Auf der Frankfurter IAA debütiert im September das T-Modell als neuer Kombi. „T“ steht für Tourismus und Transport. Die ersten Exemplare werden in Sindelfingen gebaut
1978: Im April beginnt im neuen Werk Bremen die Serienproduktion des T-Modells. Zunächst sind zwei Diesel (240D mit 65 PS und 300D mit 80 PS) lieferbar sowie drei Benziner (230 mit 109 PS, 250 mit 129 PS und 280E mit 177 PS)
1979: Ab März leistet der 240 TD 72 statt 65 PS, der 300 TD erstarkt von 80 auf 88 PS. Der separate Start-Stopp-Zug zum Vorglühen der Diesel entfällt, alle Funktionen nun über den Zündschlüssel. Im September Modellpflege mit neuen Ausstattungen und mehr Leistung für 300 TD und 250 T. Im Einzelnen modifiziert werden die Lackfarben, das Lenkrad entsprechend der S-Klasse W 126, die Polsterstoffe und Kopfstützen, neue pneumatische Leuchtweitenregulierung und Bremssystem. Hinzu kommen verlängerte Wartungsintervalle
1980: Neuer Drei-Liter-Turbodiesel-Fünfzylinder im 300 TD Turbodiesel. ABS ist auf Wunsch erhältlich. Im Juni neuer Vierzylindermotor (Typ M 102) für Typ 230 TE (dieser Einspritzer ersetzt den 230-Vergaser) 
1982: Versuchsfahrzeuge mit Elektroantrieb. Airbags sind optional bestellbar. Im September große Modellpflege mit neuen Motoren und Breitbandscheinwerfern für alle. Weitere Modifikationen sind neue Polsterungen und Lackierungen, Vordersitzbezüge komplett in Stoff, Servolenkung bei allen Typen serienmäßig. Fensterkurbeln und Türverkleidungen mit Stoffeinlagen, Zebrano-Holzdekor im Armaturenbrett bei allen Typen und Verbrauchstendenz-Anzeige im Kombiinstrument 
1983: Mercedes 280 TE mit Wasserstoffantrieb geht in den Feldversuch
1984: Im November geht die neue mittlere Mercedes-Klasse (W 124) an den Start
1985: Auf der Frankfurter IAA feiert die neue Generation des Kombis T-Modell (Code S 124) Weltpremiere mit sieben Motoren. Ausschließlich als T-Modell lieferbar ist der 300 TD Turbo mit 3,0-Liter-Sechszylinder-Turbodiesel und 105 kW/143 PS Leistung. Das T-Modell ist auch als reines Fahrgestell mit unterschiedlichen Radständen lieferbar für Krankenwagen-, Bestattungsfahrzeug- oder andere Spezialaufbauten. Ebenfalls auf der IAA debütiert das Allradantriebssystem 4Matic für die Typen 300 TE und 300 TD Turbo. Ab September ist für alle Benziner optional ein geregelter Drei-Wege-Katalysator verfügbar
1986: Im Januar endgültiges Produktionsende für die Baureihe W 123
1988: Im September debütiert der 250 D Turbo
1989: Auf der Frankfurter IAA wird im September die gesamte Baureihe mit großer Modellpflege gezeigt. Neu ist der Typ 300 TE-24 mit Vierventiltechnik
1992: Im Herbst Modellpflege und neue Typen 200 TE, 220 TE, 280 TE und 320 TE. Ab Oktober ist der Fahrerairbag Serie
1993: Im Juni wird die Baureihe ein weiteres Mal überarbeitet und mit neuem Namen präsentiert. Die Fahrzeugfamilie heißt nun E-Klasse. Neu ist auch die Vierventiltechnik für Fünf- und Sechszylinder-Diesel. Ebenfalls neu ist der E 36 AMG als T-Modell
1995: Im Juni stellt Mercedes-Benz die E-Klasse-Limousinen der Baureihe 210 vor
1996: Das T-Modell der W 124-Reihe läuft im Juni aus, nachdem im Mai das nachfolgende T-Modell der Baureihe S 210 mit markantem Vieraugengesicht debütierte. Das Gepäckabteil des T-Modells fasst 520 Liter bis maximal 1.975 Liter, womit ein neuer Bestwert erzielt wird. Leistungsstärkstes T-Modell ist der E 60 AMG T mit 280 kW/381 PS freisetzendem 6,0-Liter-V8
1999: Große Modellpflege im August mit neuen Motoren und modifizierter Fahrzeugfront sowie neuer Dachreling, lackierten Seitenschwellern und neuem Heckstoßfänger 
2002: Nächster Generationenwechsel, die W 210 Reihe wird im März durch den W 211 abgelöst. Die Produktion des entsprechenden T-Modells S 211 läuft im Dezember an, die Publikumspremiere erfolgt aber erst im Januar 2003 in Detroit. Stärkstes T-Modell ist der E 55 AMG T mit V8-Benziner, der von einem Kompressor aufgeladen wird. Das Triebwerk leistet 350 kW/476 PS und entwickelt 700 Nm Drehmoment. Der Sprint von 0 auf 100 km/h gelingt diesem Kombi in 4,7 Sekunden  
2006: John Lennons weißer 300 TD aus dem Jahre 1979 wird für 124.000 US-Dollar versteigert
2009: Im September feiert das T-Modell der neuen Baureihe W 212 seine Weltpremiere auf der Frankfurter IAA. Seit dem Start des ersten T-Modells im Jahr 1977 entschieden sich über eine Million Kunden für diese Kombireihe. Ausgeliefert werden die ersten Kombis der Serie S 212 am 21. November. Die Werbekampagne läuft unter dem Slogan „Eleganz schafft sich Raum.“
2013: Große Modellpflege im Januar, auf Anhieb zu erkennen an den Frontscheinwerfern, die in einer Einheit zusammengefasst sind und so ihre Vieraugenoptik verlieren. Allerdings sollen die neuen Leuchtbänder des LED-Tagfahrlichts die Beibehaltung des Vieraugengesichts suggerieren
2016: Im Mai endet die Fertigung des T-Modells der Serie S 212. Einen Monat später debütiert die Serienversion des T-Modells der Reihe S 213. Produktionsstart ist im September im Werk Sindelfingen, gleichzeitig erfolgt die Premiere in den Schauräumen des Handels. Auf dem Pariser Salon debütiert mit dem All Terrain erstmals eine Offroad-Variante des T-Modells
2017: Der All Terrain erlebt seine Markteinführung und das T-Modell feiert seinen 40. Geburtstag
 
Motorisierungen Mercedes-Benz T-Modell S 123 (1977-1986):
Mercedes-Benz 240 TD mit 2,4-Liter-Vierzylinder-Dieselmotor (48 kW/65 PS bzw. mit 53 kW/72 PS),
Mercedes-Benz 300 TD mit 3,0-Liter-Fünfzylinder-Dieselmotor (59 kW/80 PS bzw. mit 65 kW/88 PS),
Mercedes-Benz 300 TD Turbodiesel mit 3,0-Liter-Fünfzylinder-Dieselmotor (92 kW/125 PS),
Mercedes-Benz 200 T mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (69 kW/94 PS bzw. mit 80 kW/109 PS),
Mercedes-Benz 230 T mit 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (80 kW/109 PS),
Mercedes-Benz 230 TE mit 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (100 kW/136 PS),
Mercedes-Benz 250 T mit 2,5-Liter-Sechszylinder-Benziner (95 kW/129 PS bzw. 103 kW/140 PS),
Mercedes-Benz 280 TE mit 2,75-Liter-Sechszylinder-Benziner (130 kW/177 PS bzw. 136 kW/185 PS).
 
Ausgewählte Produktionszahlen
Mercedes-Benz T-Modell S 123 insgesamt 199.517 Einheiten (1977-1986);
Mercedes-Benz T-Modell S 124 insgesamt 340.503 Einheiten (1985-1996);
Mercedes-Benz T-Modell S 210 insgesamt 279.238 Einheiten (1996-2002);
Mercedes-Benz T-Modell S 211 insgesamt 240.000 Einheiten (2002-2009).
(Wolfram Nickel/SP-X)

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