50 Jahre Opel GT - Bitte anschnallen
2018.06.04 - Wolfram Nickel/SP-X
Ein Opel als Porsche-Killer? Das gab es tatsächlich. Als Prototyp stellte der spektakuläre Opel GT den neuen Porsche 911 Targa in den Schatten, als Seriensportler spurtete der Blitzträger schneller als der Porsche 912. Vor allem aber startete Opel mit dem aufregenden Klappscheinwerfer-Keil zu einem beispiellosen Image-Höhenflug.SP-X/Köln. Ein bezahlbarer Traumsportwagen mit Kultstatus für die Ewigkeit: Vor 50 Jahren verdankte der spektakulär gezeichnete Opel GT seinen Serienstart den französischen Karossiers Chausson und Brissoneau & Lotz. Eine Kooperation, die den Kapazitätsengpass in den damals noch voll ausgelasteten deutschen Opel-Werken löste.
„Pilot müsste man sein... Commander. Im Opel GT sind Sie es. Bitte anschnallen!“ Mit solchen Worten weckte die Opel-Werbung pure Emotionen. Unter dem Slogan „Nur Fliegen ist schöner“ startete das zweisitzige Klappscheinwerfer-Coupé 1968 zu einem fünfjährigen Höhenflug als zeitweise meistverkaufter Sportwagen Deutschlands und als begehrte Mini-Corvette in den USA. Tatsächlich imitierte der Opel das charakteristische Coke-Bottle-Design der Corvette, transferierte die aufregenden Rundungen allerdings ebenso wie das technische Konzept in europäisches Format. So basierte der Opel GT auf kostengünstiger Großserientechnik, geliefert vom Kadett B. Auch die karge 44 kW/60 PS-Motorisierung im GT 1100 stammte aus dem kleinsten Opel. Dagegen spendete der Mittelklasse-Bestseller Rekord C sein 66 kW/90 PS starkes Herzstück dem GT 1900, der damals mit fast 190 km/h Höchstgeschwindigkeit Gänsehaut garantierte. Schließlich genügte dieses Tempo für die Jagd auf Porsche 912 und manch doppelt so starke V8-Limousine. Noch schärfer waren die bis 275 km/h schnellen Opel GT der Tuner-Szene, die im Tourenwagen-Trimm von Conrero, Gerent oder Irmscher als Helden von Targa Florio und Nürburgring gefeiert wurden.
Begonnen hatte die Karriere des revolutionären Opel-Racers bereits 1965 – als erstes reines Showcar eines deutschen Automobilherstellers. Auf der Frankfurter IAA feierte der Opel Experimental GT seine Weltpremiere und es wurde ein Auftritt wie Donnerhall. Niemand hatte der betulich-bürgerlichen Marke Opel zugetraut, ein Designkunstwerk auf die Räder zu stellen, um das sich die Massen dichter drängten als um den gleichfalls neuen Porsche 911 Targa. Der Applaus war atemberaubend – ebenso wie die perfekt wirkenden Proportionen der muskulösen Fahrmaschine mit messerscharfer Front. Opel-Designer Erhard Schnell hatte das richtige Gespür bewiesen, als er, zunächst ohne Wissen seiner Vorgesetzten, eine ultraflache Sportwagenstudie entwickelte, die eigentlich nie für eine Serienfertigung gedacht war. Dass es drei Jahre später anders kam, verdankte der Experimental GT den begeisterten Reaktionen von Presse und Publikum, vor allem aber dem plötzlichen Streben nach Sportlichkeit bei allen Massenherstellern.
Ford setzte auf RS-Coupés und bereitete den Capri vor, Peugeot präsentierte Coupés in jeder Modelllinie, Fiat lieferte Spider und Coupés zum kleinen Preis, das VW-Signet sollte auf dem Porsche 914 prangen und die Opel-Händler freuten sich bereits über Rallye Kadett oder Rekord Sprint in den Schauräumen: Schnelle Autos waren Statussymbole in der Wohlstands- und Leistungsgesellschaft der späten 1960er Jahre. Den schärfsten Pfeil im Köcher hatte nun Opel, denn der GT schoss die Massenmarke auf Augenhöhe mit Alfa Romeo, Triumph oder Vierzylinder-Porsche. Dazu setzte der lediglich 845 Kilogramm schwere Opel konsequent auf Leichtbau, verzichtete im Unterschied zur etablierten Konkurrenz auf Notsitze im Fond und sogar auf einen separaten Kofferraum. Für das leichte Gepäck musste eine von innen zugängliche Ablage genügen, was allerdings kaum jemanden wirklich störte.
Stattdessen beeindruckte der GT durch überraschend gute Fahrleistungen und sein Frontmittelmotorkonzept zugunsten eines tief liegenden Fahrzeugschwerpunkts. Wie damals sonst fast nur bei Rennwagen üblich, absolvierte der Opel GT ein Fahrwerks-Feintuning auf dem Nürburgring. Ein Aufwand, der lohnte: Zugunsten besserer Handlingeigenschaften wurde das GT-Triebwerk um 30 Zentimeter nach hinten versetzt. Derart optimiert wurde der 1,22 Meter flache Rüsselsheimer Renner mit kultigen Klappscheinwerfern vorn und kreisrunden Leuchten am windschnittigen Abrissheck durch einen beispiellosen Premieren-Marathon geschickt, der bis Ende 1968 dauerte.
Zum Auftakt jagten Fachmedien mit dem 4,11 Meter langen Vorzeigesportler über den Hockenheimring, wo der GT 1900 mit beispielhaften Rundenzeiten beeindruckte. Verschmäht wurde dagegen der phlegmatische GT 1100, den Opel nach nur zwei Jahren und minimalistischen 3.573 Einheiten aussortierte und durch den GT/J mit mattschwarzen Zierelementen und 66 kW/90 PS ersetzte.
Die eigentliche Erfolgsstory des über 100.000 Mal verkauften GT 1900 startete auf der Deutschen Industrie-Ausstellung in Berlin. Nicht wenige Besucher dieser Branchenmesse reisten eigens an, um „Deutschlands preisgünstigsten Sportzweisitzer“, wie Opel den GT bewarb, endlich hautnah zu erleben. Tatsächlich erlaubten die weit in das Dach hineingezogenen Türen sogar Großgewachsenen ein überraschend bequemes Entern der Schalensitze – eine Erfahrung, die auch die Premierengäste auf dem Pariser Salon und der Designmesse in Turin begeisterte. Die Auftragsbücher der Opel-Händler wurden dicker als die Produktionskapazitäten bei den französischen Karossiers und im Werk Bochum, wo Fahrwerk und Motor montiert wurden. Zumal ab Anfang 1969 auch die Amerikaner versorgt werden wollten. Unglaubliche 60 Prozent der Produktion gingen in das Land der Fullsize-V8, wo Buick den flächendeckenden Vertrieb des deutschen Vierzylinders übernahm.
Es brauchte nicht viel, um den GT im Gespräch zu halten, zumal Opel stets aufs Neue provozierte durch freche Werbebotschaften wie „Es gibt wieder Autos.“ und „Diesen Wagen würde jeder bauen. Wenn er könnte“. Als aber Ford 1969 den Capri zeigte, lebten die Rüsselsheimer den Zeitgeist des Summer of Sixty Nine mit einem sonnendurchfluteten Concept Car in Pop-Art-Farben: Der orangerote Aero GT mit Targabügel machte Hoffnung auf eine Serienfertigung. „Heute Experimental-Modell … morgen Serien-Automobil?“, fragte das Opel-Marketing. „Ja“, riefen die Opel-Fans einmal mehr, denn der neue VW-Porsche 914 faszinierte ebenfalls mit einem Targadach. Aber diesmal sollte es nicht sein, Opel scheute die Produktionskosten und beließ es bei zwei Prototypen. Eine weitsichtige Entscheidung. Nur ein Jahr später wurde der französische Staat Mehrheitsaktionär bei Brissoneau & Lotz, was 1973 zur Kündigung des Liefervertrags an Opel führte. Damit war das Ende der GT-Story besiegelt, zumal gleichzeitig die Produktion des Techniklieferanten Kadett B endete.
Der Geist des GT aber lebt weiter, getragen von einer leidenschaftlichen Clubszene und immer neuen Concept Cars. Auch wenn Studien wie der 1975 gezeigte futuristische GT2 und der spektakuläre Opel GT aus dem Jahr 2016 zum Kummer aller Opel-Fans in den Asservatenkammern verschwanden, die Hoffnung auf eine Wiederkehr geben sie nicht auf. (Wolfram Nickel/SP-X)
Chronik Opel GT:
1962: Im Herbst beginnt die Arbeit am Projekt 1484, einem künftigen Sportcoupé.
1963: Erste Designentwürfe werden vorgestellt. Erhard Schnell ist verantwortlich für das GT-Design.
1965: Der Opel Experimental GT begeistert auf der IAA Presse wie Publikum gleichermaßen. Bereits drei Jahre später wird aus dem Zukunftsträger Realität.
1966: Opel entscheidet sich dafür, aus dem Experimental GT eine Serienversion zu entwickeln.
1968: Nicht wie erwartet auf dem Pariser Salon, sondern auf der Berliner Industrieausstellung feiert Opel die Weltpremiere des Serien-GT. Schon vor Markteinführung wird eine Anzeigenkampagne lanciert unter dem Slogan „Nur Fliegen ist schöner“. Mangels Produktionskapazitäten wird die Karosserie bei Chausson in Frankreich produziert während die Lackierung und Interieurausstattung bei Brissoneau & Lotz in Frankreich erfolgten. Für die Endmontage zuständig ist das Opel-Werk Bochum, wo auch die Antriebsaggregate installiert werden. Angeboten wird der Opel GT mit 1,1-Liter- und 1,9-Liter-Motoren, die auch im Kadett und anderen Modellen zum Einsatz kommen. Das Leergewicht liegt beim GT 1100 bei nur 845 Kilogramm. Auch in den USA wird der GT vermarktet, dies als Buick Opel GT.
1969: Auf der IAA in Frankfurt präsentiert Opel das Concept Car Aero GT. Diese Targaversion des GT wird unter Chefdesigner Charles M. Jordan von Erhard Schnell gezeichnet und von der italienischen Carrozzeria Fissore als Prototyp realisiert. Ein zweites Aero GT Concept Car für den amerikanischen Markt wird von Giovanni Michelotti umgesetzt und Monzablau lackiert. Keine der Studien geht in Serie.
1970: Im Mai wird der erfolglose GT 1100 eingestellt, neue Basisversion wird stattdessen ab 1971 der Opel GT/J (J=Junior) mit dem 1,9-Liter-Motor, aber ohne Chromzierrat und Ausstellfenster.
1971: Im März Produktionsanlauf des GT/J. Der zehnmillionste Opel läuft vom Band. Am 17. Mai erreicht Georg von Opel in einem Versuchs-GT mit Batterieantrieb einen Geschwindigkeitsrekord von 188 km/h und fünf weitere Weltrekorde, dies allerdings nicht über die geplante Distanz von 100 Kilometern, weil die Batterien schon nach 44 Kilometern entladen sind.
1972: Opel ist Deutschlands erfolgreichster Autoproduzent. Im Juni feiert Opel mit einem GT zwei Geschwindigkeitsweltrekorde für Diesel-Pkw. Der 184 km/h schnelle GT startet dazu mit einem auf 95 PS Leistung gebrachten Dieselmotor auf der Hochgeschwindigkeitskreisbahn des Opel Prüffeldes in Dudenhofen.
1973: Im August wird die Produktion der Typen Opel GT und GT/J nach 103.463 Einheiten eingestellt. Das Produktionsende hat mehrere Gründe. So ist der französische Staat seit 1970 Mehrheitsaktionär bei Brissoneau & Lotz und nicht daran interessiert ausländische Unternehmen mit Karosserien zu beliefern. Außerdem endet 1973 die Produktion des Kadett B, der wesentliche technische Komponenten für den Opel GT liefert.
1975: Sind die Opel GT anfangs emotionsgeladene Sportcoupés, rücken die Ingenieure zur IAA 1975 die Themen Benzinverbrauch, Aerodynamik, Sicherheit und Innenraum in den Fokus. Zu sehen beim Opel GT2, der mit futuristischer Keilform und Schiebetüren das Publikum überrascht. Seiner Zeit weit voraus ist auch das Interieur. Die Schalensitze sind aus einzelnen Schaumstoffelementen zusammengesetzt, das Cockpit besteht aus auswechselbaren Modulen mit Digitalanzeige und Bordcomputer. Für Vortrieb sorgt die Antriebstechnik des Manta GTE mit 105 Einspritzer-PS. In den USA entscheidet Buick, keine weiteren Opel-Modelle in Nordamerika zu vertreiben, womit der wichtigste Absatzmarkt für einen neuen Opel GT entfällt.
2003: Das Vauxhall VX Lightning Concept gibt auf der Frankfurter IAA einen ersten Hinweis auf einen neuen GT in Roadsterform.
2006: Unter dem Namen Opel GT debütiert auf dem Genfer Salon die europäische Version der amerikanischen Modelle Saturn Sky und Pontiac Solstice.
2007: Marktstart des Roadsters Opel GT, der in Wilmington/Delaware (USA) gebaut wird.
2009: Nachdem das Roadster-Produktionswerk in Wilmington (USA) im Juli geschlossen wird, läuft auch der Opel GT aus.
2016: Am 1. März debütiert auf dem Genfer Salon ein neues Concept Car mit dem Namen Opel GT, allerdings kommt es nicht zu einer Serienfertigung.
2018: Der einst erfolgreichste deutsche Sportwagen feiert seinen 50. Geburtstag. Dazu geht der Opel GT bei mehreren Klassiker-Rallyes an den Start.
Produktionszahlen:
Opel GT insgesamt offiziell 103.463 Einheiten (1968-1973),
davon 70.222 Einheiten exportiert nach Nordamerika.
Opel GT 1100 (1968-1970) insgesamt 3.573 Einheiten,
Opel GT 1900 (1968-1973) insgesamt 89.130 Einheiten,
Opel GT/J (1971-1973) insgesamt 10.760 Einheiten.
Opel GT (2006-2009) insgesamt 7.519 Einheiten
Motorisierungen Opel GT:
Opel GT 1100 mit 1,1-Liter-Benziner, 44 kW/60 PS, maximales Drehmoment: 84 Nm bei 3.800 U/min, Vmax: 155 km/h, 0-100 km/h: 16,5 s;
Opel GT 1900 bzw. GT/J mit 1,9-Liter-Benziner, 66 kW/90 PS, maximales Drehmoment: 146 Nm bei 2.500 U/min, Vmax: 185 (Testwerte: 189) km/h, 0-100 km/h: 11,5 (Testwerte: 10,8) s;
Opel GT 1900 Automatik mit 1,9-Liter-Benziner, 66 kW/90 PS, maximales Drehmoment: 146 Nm bei 2.500 U/min, Vmax: 177 km/h, 0-100 km/h: 14,5 s.
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