SP-X/Köln. „Alfa besser als BMW“, mit solchen Schlagzeilen feierte die Fachpresse bis Ende der 1970er Jahre den Vorsprung der Mailänder Traditionsmarke in Technik und Fahrdynamik. Aber auch in den Absatzzahlen bewahrte sich Alfa Romeo Vorsprung vor den Bayern und anderen sportiven Herstellern, dies nicht zuletzt dank neuer Erfolgsträger wie der Limousine Alfetta und dem davon abgeleiteten Sportcoupé Alfetta GT/GTV, das 1974 an den Start fuhr. Stardesigner Giorgetto Giugiaro hatte diesen viersitzigen Gran Turismo in faszinierende Keilform gegossen und dabei sogar Designdetails des Achtzylinder-Supersportlers Alfa Montreal zitiert, so bei der Leuchten- und Motorhaubengestaltung. Was dem Alfetta GTV anfangs fehlte, war eine Spitzenmotorisierung mit mehr Temperament als es die Vierzylinder-Triebwerke auf den Asphalt brachten. Vor 40 Jahren war es aber soweit: Als facegelifteter Alfa Romeo GTV 6 gelang dem Sportler mit 118 kW/160 PS leistendem V6 ein furioser Neustart im Wettbewerbsumfeld von Porsche 924/944, Nissan 280 ZX, Ford Capri 2.8 Injection oder Opel Monza, aber auch gegen Lancia Montecarlo und Maserati Merak 2000 V6. Der Alfa GTV „Sei“, wie die Italiener ihren soundstarken Sechsender mit Einspritzung auch hierzulande bewarben, führte die Alfetta-Geschichte und das legendäre Transaxle-Konstruktionsprinzip (Motor vorn, Getriebe, Kupplung und Differential an der Hinterachse) zum Höhepunkt.
Wie sonst fast nur Mittelmotor-Sportwagen erreichte Alfa Romeo via Transaxle eine vollkommen ausgeglichene Gewichtsverteilung von 50 Prozent auf der Vorder- und 50 Prozent auf der Hinterachse. Ein Prinzip, das sich in verwandter Form auch beim Porsche-Duo 924/944 fand. Dies galt ebenso für die weit aufschwingende, großzügig verglaste Heckklappe des Italieners, unter der rekordverdächtig viel Gepäck Platz fand. Zwei Koffer und fünf Reisetaschen plus Tennisausrüstung oder 370 Liter, das bot kein Rivale des GTV. Rar geworden war 1980 auch ein wichtiges Accessoire, das den GTV 6/2.5i von dem Vierzylinder-Coupé GTV 2.0 differenzierte: Das große glänzende Holzlenkrad im Cockpit erinnerte an die Golden Fifties, in denen Alfa Romeo seine erste Formel-1-Weltmeisterschaft gewann, übrigens mit einem Tipo 159 Alfetta und Transaxle-Layout.
„Distanz zur Norm“, die den „GTV 6/2.5 unbestritten zu einem Führungsmodell der Sportcoupés macht“, sollte der neue Leistungsträger im Alfa-Romeo-Programm natürlich auch äußerlich zeigen. Im Rückspiegel Vorausfahrender gab sich der V6 unübersehbar zu erkennen durch eine voluminöse Ausbeulung der Motorhaube und autoaffine Passanten erkannten diesen GTV an seinem kraftvollen Klang. Heute kaum mehr vorstellbar, aber damals verfügten Fahrzeuge von Herstellern wie Alfa oder BMW noch über einen markentypischen Sound. „In den Sound dieses Sechszylinders hat Alfa Romeo eine große Summe investiert“, hieß es deshalb beim Presselaunch.
Wichtiger für die Sportcoupé-Klientel waren natürlich weitere Fakten, allen voran die Fahrleistungen. Auch dabei wurde der GTV 6 seinem Auftritt als Donnerkeil gerecht, denn in der Praxis übertraf er die zurückhaltenden Prospektwerte deutlich. In zeitgenössischen Tests sprintete der V6 in rund acht Sekunden von 0 auf 100 km/h und die Höchstgeschwindigkeit wurde mit bis zu 220 km/h gemessen, damit bewegte sich der Alfa 1980 sogar auf dem Niveau der weit kostspieligeren BMW 6er und Mercedes SL, vor allem aber machte er eine Ansage im Wettbewerbsumfeld. Tatsächlich war das cuore sportivo unter der lang gestreckten Motorhaube des GTV ein Aushängeschild der Ingenieurskunst von Alfa Romeo. Nicht nur, dass dieses Aggregat als erster vollkommen neu konstruierter italienischer Sechszylinder seit den 1960er Jahren ein Gegenentwurf zu den großvolumigen Lancia-Vierzylindern war und auch die von Regierung und Behörden präferierte Limousine Alfa 6 antrieb. Das Grundkonzept des V6 war so innovativ, dass es in Evolutionsstufen über ein Vierteljahrhundert lang gebaut wurde.
Tatsächlich tröstete der formidable V6 die Alfisti sogar ein wenig über den Verlust des V8, der mit Einstellung des Topmodells Alfa Montreal entschlafen war, nachdem das 2,6-Liter-Aggregat noch 1977 versuchsweise Prototypen des GTV befeuert hatte. Hochkarätig, aber auf nur 400 Einheiten limitiert war eine Homologationsauflage des schnellen Alfetta GTV 2.0 Turbodelta als erster italienischer Pkw mit Turboaufladung, während wenige Jahre später ein 136 kW/186 PS freisetzender 3,0-Liter-V6 im GTV 3.0 V6 als Eigengewächs von Alfa Romeo Südafrika den PS-hungrigen Kunden dieses Rechtslenkermarktes vorbehalten blieb. Entsprechend enthusiastisch nahm die europäische – und sogar nordamerikanische – Kundschaft der staatlich kontrollierten Avantgardemarke den 2,5-Liter-V6-Einspritzer im GTV zur Kenntnis. Noch im Jahr 2000 wurde das inzwischen zum 24-Ventiler mutierte Aggregat von internationalen Experten zum „Motor des Jahres“ gekürt.
Die größten Sternstunden des durch Kunststoffanbauteile an Front und Seiten modisch aktualisierten Transaxle-Keils GTV 6 schlugen aber auf den Rennstrecken. Dort dominierte der Gran Turismo mehrere Jahre die europäische Tourenwagenmeisterschaft (nach Gruppe-A-Reglement), aber auch DTM-Championate und Rallye-Titelgewinne sicherte sich der Racer bis 1987 und damit noch ein Jahr über das Ende der langen Produktionszeit hinaus. Speziell die spektakulären Rundstrecken-Siege gegen weit stärkere Jaguar XJ-S und BMW 6er pflegten die Magie der Mailänder Marke, die schon so viele Weltmeister hervorgebracht hatte, aber nach den glanzvollen 1970ern in eine dunkle Dekade geglitten war. Streiks und die mangelnde Motivation der Belegschaft, die in manchen Alfa-Werken durch Abwesenheitsquoten von 20 Prozent auffiel, sowie chronisch leere Kassen in der Entwicklungsabteilung des Konzerns ließen die Verkaufszahlen der sportiven Spezialitäten abstürzen. Daran änderten auch Designexperimente von Karossiers wie Zagato nichts, der noch 1983 den Zeta 6 mit der Technik des Alfa GTV 6 vorstellte.
Anfang 1983 erhielt der Alfa Romeo GTV seine letzte Modellpflege, erkennbar an üppigerem Kunststoff-Ornat. Sogar das stilvolle Holzlenkrad des V6 musste einem zeitgeistigeren Volant weichen. Immerhin folgten einige Sondereditionen wie der von Rayton Fissore gestaltete GTV 6 Grand Prix, mit dem Alfa Romeo 1985 den 75. Gründungstag feierte, bevor das Unternehmen in den Fiat-Konzern integriert wurde und die Produktionsgeschichte des GTV 6 nach 22.380 Einheiten endete. Vordergründig ein bescheidenes Verkaufsresultat im Vergleich zur Gesamtstückzahl von über 114.000 gebauten GTV mit Vierzylinder-Aggregat, aber es war der V6, der die Begeisterung der Tifosi für das 1980 schon angejahrte Konzept der Alfetta belebte. Das erste 1989 unter Fiat-Regie realisierte Sportcoupé Alfa SZ vermittelte deshalb nicht nur Aufbruchstimmung, sondern zollte zugleich mit V6 und Transaxle den glanzvollen Dekaden von Alfetta, GTV & Co Tribut.
Wolfram Nickel/SP-X
Chronik:
1972: Benannt nach dem ersten Alfa-Modell (Tipo 159 Alfetta), das durch Siege in der Formel 1 brillierte, geht die Limousine Alfetta (Tipo 116) in Serie und dies mit technisch damals außergewöhnlichem Transaxle-Layout (Motor vorn, Getriebe und Differential sind hinten positioniert). Im Motorsport setzte der Formel-1-Renner Alfetta schon 1951 auf dieses Konstruktionsprinzip. Der Alfa Romeo Alfetta ist mit einem 1,8-Liter-Vierzylinder oberhalb des Alfa Giulia positioniert und erzielt auf Anhieb europaweit Verkaufserfolge. Von der deutschen Fachpresse wird das Modell als ebenbürtiger Konkurrent des neuen BMW 5er eingeordnet. Als Coupévariante des viertürigen Alfetta wird der Alfetta GT entwickelt, der letztlich die Bertone-Coupés (Tipo-105-Serie) der 1960er Jahre ersetzen soll. Für das Design des Alfetta GT zeichnet ItalDesign-Chef Giorgetto Giugiaro verantwortlich
1974: Marktstart des viersitzigen Coupés Alfetta GT mit 1,8-Liter-Motor
1975: 227.531 Fahrzeuge werden hergestellt. Bis Ende der 1970er Jahre ist Alfa Romeo trotz roter Zahlen in der Bilanz noch einmal ein weltweit agierender Großserienhersteller, der sogar in Deutschland als wichtigstem Exportmarkt Achtungserfolge gegen BMW einfährt. Ein Höhenflug in den Zulassungsstatistiken, den vor allem die jungen Modellen Alfasud und Alfetta (seit diesem Jahr auch mit 1,6-Liter-Motor) inklusive des GTV tragen
1976: Neugliederung der Alfetta GT Coupé-Baureihe mit gleichzeitiger Produktionseinstellung der altgedienten 1,3-Liter- bis 2,0-Liter-Bertone-Coupés. Die Variante Alfetta GT 1800 entfällt, stattdessen umfasst das Programm nun die Vierzylinder-Typen Alfetta GT 1.6 und Alfetta GTV 2.0. Als Alfetta GTV 2.0 verfügt das Sportcoupé über einen 122 PS leistenden 2,0-Liter-Vierzylinder. Ermanno Cressoni wird Direktor des Centro Stile Alfa Romeo
1977: Der Alfa Romeo GT/GTV erlebt sein bestes Jahr mit 19.932 produzierten Fahrzeugen. Das sportliche Spitzenmodell Alfa Montreal verabschiedet sich, vorläufig ohne Nachfolger. Erste Pläne für einen GTV mit Sechszylinder-Motor, dies parallel zur Entwicklung des Alfa 6
1979: Rückkehr in die Oberklasse mit dem Alfa 6 mit von Orazio Satta neu entwickeltem V6-Motor, allerdings zunächst ohne Einspritzung. Es ist das finale Meisterwerk von Ingenieur Satta, der ein Jahr später stirbt. Alfa Romeo bietet damals als einziger italienischer Hersteller einen Sechszylinder an, denn selbst der Lancia Gamma wird nur von einem Vierzylinder befeuert. Das Design der Limousine ist allerdings umstritten, der Erfolg daher nur mäßig. Der Sechszylinder wird für einen Einsatz im Alfa GTV vorbereitet. Der Alfa GTV, dessen Design gezielt diverse Elemente des exklusiven Montreal aufgenommen hat (leicht überdeckte Frontscheinwerfer, Rückleuchten-Anordnung, Türdesign, Linie der Motorhaube), erfährt in diesem Jahr eine sanfte Modellpflege. Die von Autodelta lancierte Version 2.0 Turbodelta geht als erster italienischer Pkw mit Turbo-Benziner in Serie (Auflage 400 Einheiten). Letztmals rollen in einem Jahr über 10.000 Einheiten des Sportcoupés GT/GTV vom Band (11.809 Einheiten). Ende des Jahres startet die Vorserienfertigung des GTV 6
1980: Neusortierung des Alfetta GT/GTV-Programms. Der Modellname Alfetta entfällt und die Coupés werden als GTV 2.0 mit Vierzylindermotor und GTV 6 2.5i mit Sechszylinder inklusive Benzineinspritzung angeboten. Die Motivation und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter an manchen Alfa-Produktionsstandorten bereitet dem Konzern Sorgen. Die tägliche Abwesenheitsquote von 20 Prozent der Mitarbeiter ist Europarekord, bei einem Fußballspiel der Nationalmannschaft fehlen sogar 40 Prozent der Arbeiter, 20 Prozent der Belegschaft bekommt von der Krankenkasse eine körperliche Behinderung bescheinigt, knapp fünf Prozent sind sogar Invaliden. Der tägliche Alfa-Romeo-Fahrzeugausstoß beträgt deshalb nur noch 455 Fahrzeuge, 30 Prozent weniger als Autos produziert werden könnten. Vom GTV rollen 9.129 Vier- und Sechszylinder vom Band
1981: Rückgang der Alfa-Produktion auf 192.826 Einheiten, davon 9.801 Alfa GTV
1982: Erster von vier aufeinanderfolgenden Titelgewinnen (1982-1985) in der Europäischen Tourenwagenmeisterschaft für den GTV 6. In der italienischen Rallyemeisterschaft gewinnt der Alfa GTV 6 den Titel in der Gruppe N. Der neue Listenpreis für den GTV 6/2.5 beträgt 32.990 Mark, den GTV 2.0 gibt es bereits ab 26.500 Mark. Die Produktionsstatistik weist 9.146 Alfa GTV aus
1983: Im Februar erfahren GTV 2.0 und GTV 6 ein letztes Facelift, erkennbar an neuen Sitzen, Farben und modifiziertem Kunststoff-Flankenschutz. Fürs Modelljahr 1984 erhält der GTV 6 ein Kunststofflenkrad statt Holzlenkrad. Auf der Basis des Alfetta GTV 6 entwickelt die Carrozzeria Zagato ein von Giuseppe Mittino gezeichnetes Coupé, den Zagato Zeta 6, der auf dem Genfer Automobilsalon debütiert. Allerdings kann eine Serienproduktion nicht realisiert werden. Insgesamt werden in diesem Jahr noch 5.567 Alfa GTV gebaut. In der italienischen Rallyemeisterschaft gewinnt der Alfa GTV 6 den Titel in der Gruppe A und dies auch im Jahr 1984. Im Dezember erzielt ein GTV 3.0 V6 aus südafrikanischer Vorserienfertigung einen Klassensieg beim 1.000-Kilometer-Rennen in Kyalami
1984: Die viertürige Limousine Alfetta wird nach 448.417 produzierten Einheiten durch den Alfa 90 ersetzt, tatsächlich handelt es sich beim Alfa 90 aber nur um ein Evolutionsmodell, das bei Bertone in aktuelles Design gebracht wurde. Der GTV wird unverändert weitergebaut. In einer Auflage von 200 Einheiten wird für die Homologation in der Motorsport-Gruppe 1 in Südafrika der 225 km/h schnelle Alfetta GTV 3.0 V6 mit 186 PS starkem 3,0-Liter-Sechszylinder gebaut. Der 2,5-Liter-V6 aus italienischer Fertigung wird mit Leistungswerten von 180 bis 190 PS in Prototypen etwa von Osella bei Sportwagen-Rennen eingesetzt
1985: Die Limousine Alfa 75 debütiert zum 75. Markenjubiläum und nutzt ebenfalls die Plattform des Alfetta. Sonderserie GTV 6 Grand Prix mit Designelementen, gestaltet von Rayton Fissore. Insgesamt werden in diesem Jahr nur noch 147.385 Alfa Romeo produziert, davon 3.541 Alfa GTV. Bei der Korsika-Rallye belegen Alfa GTV 6 die Plätze fünf und sechs
1986: Letztes Verkaufsjahr für den Alfa GTV. Die Ford Motor Company ist an einer Übernahme von Alfa Romeo interessiert, den Zuschlag erhält aber Fiat unter Giovanni Agnelli, damit kommt Alfa Romeo wieder in Privatbesitz
1987: Sieg des Alfa Romeo GTV 6 bei der australischen Rallyemeisterschaft unter den Piloten Greg Carr und Fred Gocentas
1989: Letzter Alfa Romeo mit Hinterradantrieb ist der Kleinserien-Sportwagen SZ (Sprint Zagato) mit der Technik des Alfa 75
1994: Eine neue Generation des GTV (Serie 916) mit Vorderradantrieb versucht das Erbe des früheren Sportlers mit Leben zu füllen, erreicht aber nicht die erhofften Stückzahlen. Dennoch dauert die Produktionsperiode dieses GTV bis 2005
2010: Mit 30 Jahren wird der Alfa GTV 6 Oldtimer und Kandidat für das amtliche H-Kennzeichen
2020: Der Alfa Romeo GTV 6 feiert den 40. Jahrestag seines Marktstarts und die Community würdigt dieses Jubiläum
Produktionszahlen:
Alfa Romeo Alfetta GT/GTV (1974-1986) in 136.275 Einheiten, davon 22.380 Alfa GTV 6 (1979-1986). Insgesamt 11.468 Einheiten des GTV 6 rollen zwischen Ende 1979 und Anfang 1983 vom Band und 10.912 Einheiten nach dem im Februar 1983 erfolgten finalen Facelift
Technische Daten Alfa Romeo GTV 6:
Zweitüriges, viersitziges Sportcoupé; Länge: 4,26 Meter, Breite: 1,66 Meter, Höhe: 1,33 Meter, Radstand: 2,40 Meter, Kofferraumvolumen: 370 Liter. 2,5-Liter-V6-Benziner, 118 kW/160 PS, maximales Drehmoment: 213 Nm bei 4.000 U/min, Fünfgang-Schaltgetriebe, 0-100 km/h: 8,3 s, Vmax: 205 km/h (in Tests bis zu 220 km/h), Normverbrauch bei 90 km/h/120 km/h/Stadtzyklus 7,7/9,9/14,8 Liter/100 Kilometer, Preis: ab 29.990 Mark (1981)