60 Jahre Volvo P1800

29.07.2019 - Wolfram Nickel/SP-X

Ein Volvo verführerisch wie Ferrari, in schnelleren Formen als Jaguar, mit mehr Power als Porsche und charismatischer als die Corvette? Genau dieser Mix machte die kernig klingenden und am Ende fast unkaputtbaren P1800 Coupés zu globalen Superstars - und zur Volvo-Markenikone, die sogar den aktuellen Polestar 1 prägt.

Über 8.000 Einheiten des in Deutschland liebevoll-scherzhaft „Schneewittchensarg“ genannten Kombi-Coupés konnten in zwei Jahren verkauft werden  Foto: VolvoSP-X/Köln. Sie waren die Speedsymbole des beginnenden Jet- und Raketenzeitalters. Flossen, Flügel oder Finnen durften an keinem Sportcoupé der späten 1950er Jahre fehlen und so zeigte sich auch der P1800, Volvos erster sportiver Superstar, mit den stylischen Insignien dieses kurzlebigen Trends. Allerdings kannte das P1800 Coupé keine modische Vergänglichkeit.

Im Gegenteil, dieser vom Schweden Pelle Petterson in den Ateliers des italienischen Stardesigners Frua gezeichnete Gran Turismo reifte zur globalen Markenikone des Göteborger Autobauers. Deshalb präsentierte Volvo Anfang der 1970er eine sensationelle Weiterentwicklung: Den Volvo 1800 ES mit großer gläserner Heckklappe als Vorbild moderner Shootingbrakes. Und auch das aktuelle Topmodell der Volvo- Premiumtochter Polestar zitiert die Sportcoupé-Ikone aus den Golden Fifties. Was machte den Volvo P1800 mit rau laufendem Vierzylinder so begehrenswert, dass er in Amerika in einem Atemzug mit der Corvette genannt und als Mini-Ferrari gefeiert wurde und in Europa zum rasanten Film-Dienstwagen und persönlichen Favoriten des James-Bond-Darstellers Roger Moore avancierte? Wahrscheinlich war es der typisch schwedische Zug, den P1800 in gewagten Proportionen zu zeigen, aber unter Verzicht auf protzige Attribute wie übertrieben große Heckflossen. Stattdessen faszinierte der Volvo mit robuster Technik und neuen Sicherheitsfeatures.

Der P1800 wird automobiler Star in der bis 1969 laufenden TV-Serie „The Saint“ mit Roger Moore  Foto: VolvoAls erster Sportler verfügte der Volvo über Sicherheitsgurte für vier Passagiere, deren Stabilität die Schweden allen damaligen Gurtverweigerern in spektakulären Shows demonstrierten. In Deutschland war es der Stuntman Armin Dahl, der im Volvo P1800 über dem Hamburger Hafen schwebte, gehalten allein von den neuartigen Dreipunktgurten. Amerikaner und Briten wiederum begeisterten sich bereits damals für das Thema Ladungssicherung. Wie das? Nun, die Volvo-Coupés fassten angeblich bis zu drei oder vier Golfbags, die erstmals mit Lederriemen abgesichert werden konnten. Und dann jenes aus Buckel-Volvo und Amazon – die Stufenheck-Limousine lieferte das technische Fundament für den P1800 – bereits weltweit vertraute schwedische Bullerbü-Gefühl: Ein Volvo vermittelte Verlässlichkeit. Während andere Hersteller in den 1950ern Motorrevisionen nach nur 40.000 Kilometern als Stand der Technik betrachteten, bewies der dynamische Volvo Weltrekordqualitäten: Der Amerikaner Irv Gordon knackte mit seinem Coupé sogar die Fünf-Millionen-Kilometer-Marke.

Allerdings handelte es sich bei Gordons unkaputtbarem Dauerläufer bereits um einen Volvo 1800 S. Das S stand für „gebaut in Schweden“, denn dorthin verlegte Volvo 1963 die Produktion, nachdem der sportliche Imageträger zuvor aus Kapazitätsgründen in Großbritannien gefertigt worden war. Geformt wurde der Stahl im schottischen Linwood, wo auch die Karosserien montiert wurden, ehe schließlich die Endfertigung beim englischen Sportwagenspezialisten Jensen Motors erfolgte. Was Volvo bei der Ankündigung des neuen Top-Typs auf der IAA Frankfurt 1959 als logistischen Geniestreich erklärte, endete im Desaster. Zum einen startete die P-1800-Fertigung erst zwei Jahre verspätet und dann musste auch noch das komplette erste Coupé-Kontingent zur Nachbesserung nach Göteborg geschickt werden. Wirklich gelöst wurden die Qualitätsmängel erst 1963 mit dem Serienanlauf als Typ 1800 S im Werk Lundby. Nun kam der Verkauf des kraftvoll konturierten Zweitürers mit extrem langer Motorhaube endlich richtig in Schwung, vor allem in den USA, wo der P1800 auf Motorshows sogar die Corvette in den Schatten stellte.

Der Volvo P1800 verfügte über vier Sicherheitsgurte  Foto: VolvoDazu trug auch der um sechs PS nachgeschärfte 1,8-Liter-Vierzylinder B18B bei, der jetzt 71 kW/96 PS freisetzte. Die Vmax des Volvo stieg von 170 auf 175 km/h und den Sprint von Null auf 100 km/h absolvierte der bis zu 1.200 Kilogramm schwere Schwedenstahl-Typ in gut zehn Sekunden. Werte, die heute Kleinwagen egalisieren. Damals aber waren sie eine Ansage, auch im Umfeld leichtgewichtigerer Porsche 356, Alfa Giulietta Sprint, MG B oder Peugeot 404 Coupé. Optisch wirkte der rassige Volvo allerdings noch weit rasanter, weshalb er bei der Besetzung der englischen TV-Kultserie „Simon Templar“ („The Saint“) als bessere Alternative zum ursprünglichen vorgesehenen Jaguar E-Type galt. Dieser Meinung war auch der autoaffine angehende schwedische König Carl XVI. Gustav, der ab seinem 18. Geburtstag nacheinander alle Serien des agilsten Volvo bestellte bis hin zum 1969 eingeführten 1800 E mit 2,0-Liter-Maschine, elektronischer Benzineinspritzung und 91 kW/124 PS für Fahrleistungen nahe der 200-km/h-Marke. Obwohl eigentlich zu schwer für den Motorsport starteten die Sportcoupés dennoch regelmäßig bei Rallyes und sogar in das moderne Konsolenspiel Forza Horizon wurde noch ein klassischer Volvo 1800 E integriert.

Der Ruf des fast unzerstörbaren B18B-Vierzylinders faszinierte übrigens auch den französischen Supercar-Hersteller Facel-Vega, der sein Modell Facellia deshalb mit dem Aggregat des Volvo 1800 S ausstattete. Überhaupt bot das von Volvo technisch regelmäßig sanft aufgefrischte, aber optisch wie ein automobiles Kunstwerk fast unberührt belassene Coupé die Basis für manche Spezialität. So transferierte der New Yorker Karossier Volvoville Coupés der skandinavischen Marke von 1963 bis 1969 in Cabriolets und das mit offizieller Erlaubnis von Volvo. Nicht in Serie ging dafür 1963 der erste Volvo mit Muscle-Car-Maschine, auch wenn der amerikanische Volvo-Vertriebschef die Realisierung eines 4,7-Liter-V8-Coupés durch den vormaligen GM-Designer Robert Cumberford förderte. Nach einer Probefahrt in dem furiosen und bei vollem Leistungsabruf kaum kontrollierbaren 1800 S verweigerte Volvo-Chef Gunnar Engellau die Lizenz. Ganz anders entschied Engellau fünf Jahre später beim Entwicklungsstart des Projekts „Jaktvagn“, eines avantgardistischen Jagdwagens oder Shootingbreaks.

 und läuft und läuft und läuft....Der Amerikaner Irv Gordon knackte mit seinem Coupé die Fünf-Millionen-Kilometer-Marke  Foto: VolvoFür einen neuentwickelten Nachfolger des nunmehr leicht angestaubt wirkenden 1800 Coupés mit Flossen aus den Fifties fehlte damals das Geld. So spendierte Volvo seinem Kultmodell ein Kombiheck mit großer rahmenloser Heckscheibe, die bis weit unter die Gürtellinie reichte und freie Sicht auf das Gepäck zuließ. Nicht einmal extrem hohe Preise weit oberhalb des Porsche 911 T konnten den Erfolg dieses Volvo 1800 ES verhindern: Über 8.000 Einheiten des in Deutschland liebevoll-scherzhaft „Schneewittchensarg“ genannten Kombi-Coupés konnten in zwei Jahren verkauft werden. Als 1973 der finale 1800 ES direkt ins Volvo-Museum fuhr, waren von Coupé und Shootingbrake insgesamt 47.855 Einheiten ausgeliefert worden. Doch die Geschichte des Duos aus P1800 und 1800 ES fand Fortsetzungen. Zunächst in Form des Sportkombi-Hecks bei den Volvo Typen 480 ES und C30 und im Jahr 2013 durch ein Concept Coupé, das Volvo als „P1800 einer neuen Generation“ bezeichnete. Tatsächlich lieferte genau dieses Coupé die stilistische Vorlage für den im Sommer 2019 in Serie gehenden Polestar 1, das erste Modell der elektrifizierten Volvo-Marke Polestar.

Chronik:

1957: Fertigstellung des ersten von drei seriennahen Prototypen bei Frua in Italien

1958: Fahrtests beginnen in Schweden und im Folgejahr auch in Deutschland auf Autobahnen, Schwarzwaldstraßen sowie im Umfeld des NSU-Werks Neckarsulm
1959: Im Mai werden erste Pressebilder versendet und im Umfeld der IAA Frankfurt im September werden erste Details des neuen Volvo P1800 (P steht für Personvagn) kommuniziert, der preislich oberhalb von Volvo Amazon und Buckel-Volvo positioniert ist 
1960: Im Januar feiert der Volvo P1800 Publikumspremiere auf dem Brüsseler Salon; im April debütiert der Schwede auf dem Autosalon in New York

1961: Bestellbar ist der Volvo P1800 in den Farben Rot, Elfenbeinweiß und Anthrazitgrau. Optional ist eine Klimaanlage verfügbar, damals eine Besonderheit. Im Mai Produktionsanlauf in Großbritannien. Die Auslieferung in Schweden und auch der USA-Export beginnen. Erster Sportwagen mit serienmäßigen Dreipunktsicherheitsgurten und Gurten für die Rücksitze. Goldmedaille der kalifornischen Staatsausstellung für außergewöhnliches Design. Einsatz bei der Rallye Mitternachtssonne

1962: Produktionsunterbrechungen durch Streiks bei Jensen in England. Volvo entwickelt eine 109-PS-Variante des B18B-Motors, die aber Benzin mit 97 Oktan benötigt: Der P1800 wird automobiler Star in der bis 1969 laufenden TV-Serie „The Saint“ mit Roger Moore
1963: In den USA ist Volvo nun zweitgrößter Importeur nach Volkswagen. Volvoville in Long Island bei New York baut bis 1969 mit Erlaubnis von Volvo rund 30 Cabriolets auf Basis von P1800/1800 S und 1800 E. Im April erfolgt der Produktionsanlauf in Göteborg im Werk Lundby des jetzt Volvo 1800 S (otisches Kennzeichen sind neue Stoßstangen) genannten Modells. Leistungssteigerung auf 96 PS bzw. in den USA 108-SAE-PS. Robert Cumberford implantiert einen 4,7-Liter-V8 von Ford in den Volvo 1800 S und hofft auf einen Auftrag durch Volvo. Volvo-Chef Gunnar Engellau ist bei einer Probefahrt allerdings keineswegs begeistert von diesem Projekt. Im Sommer kleine Modellpflege (Serie D) zum Modelljahr 1964 mit Liegesitzen, neuen Interieurmaterialien etc. 1963 und 1964 ist der Volvo P1800/1800 S offizielles Fahrzeug beim 24-Stunden-Rennen von Sebring       
1964: Ab August Serienanlauf für die E-Serie mit kleinem Facelift (Grill, Stoßfänger und Interieur). Auszeichnung „Schönster Sportwagen“ beim Concours d’Elegance in Baden-Baden
1965: Im August startet die F-Serie mit jetzt 103 PS bzw. in den USA 115-SAE-PS. Der Karossier Fissore präsentiert auf Veranlassung des italienischen Volvo-Importeurs eine Fließheckstudie auf dem Turiner Salon. Der britische Karossier Radford baut eine Cabriolet-Version des Volvo 1800 in Kleinserie
1966: Mit der M-Serie erhält der Volvo 1800 ab August eine gerade geformte Seitenzierleiste. Zweiter Platz beim 24-Stunden-Rennen von Daytona. Entwurf eines Volvo 1800 Fastback-Coupés bei Fissore in Italien ähnlich dem Ford Mustang
1967: Frua Designstudie „Raketen“ ist erster Vorbote des 1800 ES
1968: Coggiola setzt sich mit der „Jaktvagn“-Studie gegen Fruas „Raketen“ durch. Mit der S-Serie neuer Zweiliter-Motor für den 1800 S. Äußerliches Kennzeichen ist ein B20-Emblem
1969: Nachdem der britische Karosseriehersteller Pressed Steel von der Rootes Gruppe bzw. Chrysler UK übernommen wurde, verlagert Volvo die Karosseriefertigung für das 1800 Coupé ins schwedische Werk Olofström. Ab August als 1800 E mit 2,0-Liter-Motor mit elektronischer Benzineinspritzung von Bosch, neuer mattschwarzer Kühlergrill

1970: Zum Modelljahr 1970 erhalten alle Volvo 1800 E vier Scheibenbremsen, die Vergaserversion des Volvo 1800 entfällt 
1971: Im August wird der 1800 ES mit rahmenloser gläserner Heckklappe vorgestellt. Vorausgegangen die zwei Prototypen „Jagtvagn“ (gebaut von Coggiola in Italien) und „Raketen“. Die nicht realisierte, radikaler geformte „Raketen“ hätte teure neue Presswerkzeuge benötigt und wäre nach Ansicht von Volvo für den Publikumsgeschmack zu polarisierend gewesen. Coggiola präsentiert auf dem Pariser Salon einen weiteren eigenen Entwurf, den Volvo 1800 ESC „Viking“. Leistung für die Serienversionen Volvo 1800 E und 1800 ES jetzt 124 PS

1972: Am 22. Juni läuft der letzte Volvo 1800 E vom Band. Der 1800 ES wird ab August mit Seitenaufprallschutz und größeren Stoßfängern für die USA produziert

1973: Am 27. Juni 1973 läuft der letzte 1800 ES vom Band. Rund 80 Prozent der 1971 bis 1973 produzierten 1800 E und 1800 ES werden nach Nordamerika exportiert

2013: Mit der Studie Volvo Concept Coupé zeigt der schwedische Autobauer auf der IAA Frankfurt eine unter Designchef Thomas Ingenlath realisierte moderne Interpretation des Volvo P1800

2019: Passend zum 50. Geburtstag des Volvo P1800 geht der Polestar 1 in Serie. Ein Coupé der neuen Volvo-Elektromarke, dessen Konturen auf das Concept Coupé von 2013 und damit auch den P1800 zurückgehen

Wichtige Motorisierungen:

Volvo P1800/1800 S (1961-1968) mit 1,8-Liter-Vierzylinder (66 kW/90 PS bzw. 71 kW/96 PS bzw. 76 kW/103 PS).

Volvo 1800 S/1800 E (1968-1972) mit 2,0-Liter-Vierzylinder (77 kW/105 PS bzw. 88 kW/120 PS bzw. 91 kW/124 PS).

Volvo 1800 ES (1971-1973) mit 2,0-Liter-Vierzylinder (91 kW/124 PS).

Produktionszahlen:

Volvo P 1800 / 1800 S / 1800 E / 1800 ES (1961-1973) insgesamt 47.462 Einheiten, davon

Volvo P 1800 (1961-1963): 6.000 Einheiten

Volvo 1800 S (1963-1968): 22.300 Einheiten

Volvo 1800 S B20 (1968-69): 1.693 Einheiten

Volvo 1800 E (1969.1972): 9.414 Einheiten    

Volvo 1800 ES (1971-1973):  8.077 Einheiten

Wolfram Nickel/SP-X

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