30 Jahre Renault 19

2018.10.29 - Wolfram Nickel/SP-X

Nein, er war kein gallischer Golf. Dennoch entsprach der Renault 19 genau den Vorstellungen der Deutschen, die dem kompakten Franzosen Rekordverkaufszahlen bescherten. Was daran lag, dass der letzte Renault mit einer Ziffer im Typencode formvollendet auftrat und nach japanischen Qualitätsmaßstäben gebaut wurde.

SP-X/Köln. Revolution lag in der Luft. Vor 30 Jahren bereitete sich Frankreich auf den 200. Jahrestag der Erstürmung der Bastille vor und in Europa fiel der Eiserne Vorhang allmählich in Fetzen. Da kam der rebellische Renault 19 gerade zur rechten Zeit. Denn dieser Gallier sollte die Vorherrschaft des VW Golf brechen und Renault als Nummer eins in Europa etablieren. Dafür kleidete sich der kompakte R19 in eine Couture, die der Schöpfer des ersten Volkswagen Golf geschneidert hatte, Giorgetto Giugiaro. Wie den VW gab es den Renault in den Karosserieformen drei- und fünftüriges Schrägheck, als viertürige Limousine und als kultiges Cabriolet – letzteres gebaut beim niedersächsischen Karossier Karmann. Also genau dort, wo auch der offene Golf entstand. Tatsächlich gelang der französischen Kompaktklasse im italienischen Design kurzzeitig, wovon fast alle Konkurrenten vergeblich träumten: Einmal den Wolfsburger Leitwolf unter den Volksfahrzeugen schlagen. Und das sogar in dessen heimischen Revier, denn direkt nach der deutschen Wiedervereinigung war der R19 in den neuen Bundesländern populärer als der Golf. Ein Triumph, für den sich Renault beim deutschen Publikum auf spezielle Art bedankte. So erhielt der Renault 19 als Stufenhecklimousine im Jahr 1993 in Deutschland die Bezeichnung „Bellevue“ nach dem neuen Berliner Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten und als Referenz an die Kunden in den östlichen Bundesländern. Weniger Glück hatte allein der Renault 19 16V, der einen wilden Rock´n‘Roll mit dem Golf GTI wagte, aber rasch unterlag.

Für Europas dominierenden Autobauer Renault war der R19 ein Rettungswagen in schwerer Zeit, Schlussstrich unter wirtschaftlich verlustreichen Jahren und deshalb als letzter Renault mit einer Zahl im Typencode ausgestattet. Zudem war Nummer 19 als erster Franzose nach japanischen Qualitätsmaßstäben finalisiert worden, denn fast wäre aus der ursprünglich geplanten Modellpräsentation des Nachfolgers der Typen R9 (Stufenheck) und R11 (Schrägheck) ein Desaster geworden. VW Golf, Opel Kadett, Peugeot 309, Citroen BX, aber auch Toyota Corolla & Co sollte der Renault 19 ab Ende 1987 das Leben schwer machen. Allerdings fehlte es ihm dafür an der erforderlichen Fertigungsqualität, weshalb Renault-Chef Raymond H. Lévy im letzten Moment alle Signale auf Halt setzte. Stattdessen besserte das neu installierte Renault-Institut für Qualität den Renault 19 so erfolgreich nach, dass die deutschen Medien das Mitte 1988 lancierte Fastbackmodell als „Japaner aus Frankreich“ lobten.

Tatsächlich erwiesen sich die Japaner als gute Lehrmeister, konnte sich der Renault 19 in Qualitätsrankings und Pannenstatistiken doch weit besser platzieren als seine Vorgänger. Schon das Exterieurdesign mit präzisen Spaltmaßen nach Wolfsburger Vorbild und ein hochwertiges Interieur ohne französisches „Laissez-faire“ verblüfften - und sorgten dafür, dass die Kunden bereitwillig mehr Geld für einen Renault 19 bezahlten als die Konkurrenz für ihre Kompakten berechnete. Verkaufsfördernd wirkte allerdings auch die ungewohnt straffe Fahrwerksabstimmung des Franzosen nach deutschem Vorbild. Hinzu kamen die durchzugsstarken, sparsamen Motoren mit einem breiten Leistungsband zwischen 43 kW/58 PS und 99 kW/135 PS sowie Details wie der große Kofferraum mit asymmetrisch umklappbarer Rücksitzlehne, damals noch eine Seltenheit. Nicht zu vergessen die elegante Formensprache des Renault, der sich in seinen stattlichen Abmessungen (Länge 4,16 Meter und damit fast 20 Zentimeter mehr als der Golf) am oberen Rand der Kompaktklasse positionierte.

Während erste Entwürfe für den Renault 19 noch vom Hausdesigner Alain Jan stammten, entschied sich die Konzernführung letztlich für ein Designkonzept, das der italienische Starcouturier Giorgetto Giugiaro 1985 präsentierte. Vielleicht lag es daran, dass Giugiaro zuerst den Golf und dann eine ganze Reihe von Golf-Rivalen koreanischer und italienischer Marken erfolgreich in Form gebracht hatte. Wie Renault-Ingenieure bei der Pressevorstellung des designierten Bestsellers verrieten, fanden Giugiaros Linien aber auch deshalb Zustimmung, weil sie kraftvoll wirkten und von einer Produktqualität kündeten, die dem VW Golf vergleichbar sein sollte. Bis sich der Renault in die Höhle des Löwen bzw. Wolfsburgers wagte, dauerte es jedoch weitere sechs Monate. Die Marke mit dem Rhombus wollte jene Fehler vermeiden, die den Vorgängern des R19 zum Verhängnis geworden waren, also dem kurios geformten Renault 14 von 1976 und zuletzt dem Renault 11 von 1983. Beiden mangelte es vor allem an der erforderlichen Verlässlichkeit und deshalb musste sich der Renault 19 in aufwändigen Straßentests bewähren, ehe er endlich im Januar 1989 als Drei- und Fünftürer in Allemagne antrat. Als im September auf der Frankfurter IAA 1989 die Stufenheckversion Chamade vorgestellt wurde, war der Renault 19 hierzulande schon meistgekauftes Importauto der Kompaktklasse.

Vor allem aber hatten die Franzosen mit dem Renault 19 den richtigen Pfeil im Köcher, um nach dem Mauerfall am 9. November 1989 die Bürger der untergehenden DDR ins automobile Herz zu treffen. Früher als andere begann Renault dort mit dem Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes und der R19 errang 1990 gemeinsam mit dem Clio einen sensationellen Marktanteil von bis zu zwölf Prozent in den neu hinzukommenden Bundesländern. Renault-Präsident Lévy ließ es sich deshalb zum Jahresbeginn 1990 nicht nehmen, in Bonn unverblümt zu politischen Fragen ob der offenen Grenzen Stellung zu nehmen. Ein für Unternehmensführer damals höchst ungewöhnlicher Vorgang, für den Lévy viel Beifall erntete. Levy erklärte das Auto zum Instrument der Freiheit und er betrachtete die deutsch-französische Freundschaft als Schlüsselelement im damaligen europäischen Geschehen. Die Freiheit im Osten äußere sich nicht nur politisch und Befürchtungen, Frankreich sträube sich gegen eine deutsche Wiedervereinigung seien vollkommen unbegründet. Renault feierte den Wendegewinner vom Typ R19 anschließend mit dem Sondermodell „Champion“ und die Zulassungszahlen des Kompakten hoben jetzt erst richtig ab.

Dazu beitragen konnte wenig später der in Kooperation mit Karmann realisierte Frischluftstar R19 Cabrio. Das Besondere des Sonnengotts: im Gegensatz zum Golf benötigte der Franzose keinen störenden, feststehenden Überrollbügel, was diesem Bestseller bis heute eine Fanszene sichert.

Täglich wurden in vier Werken 1.800 Renault 19 gebaut und fast passgenau zum offiziellen Tag der Deutschen Einheit im Herbst 1990 wurde bereits der millionste Renault 19 an einen deutschen Kunden ausgeliefert. Vier Jahre in Folge war der Kompakte nun meistverkauftes deutsches Importauto und auch auf dem französischen Heimatmarkt ging es dank des R19 aufwärts. Die finanzielle Krise der bis dahin staatlichen Régie Renault wurde überwunden und der Konzern konnte privatisiert werden. Der Renault 19 machte die Bahn frei für einen Neuanfang, den der 1995 nachfolgende Mégane mit ersten Crossover-Typen fortführte.

Wolfram Nickel/SP-X

Kurzcharakteristik

Chronik Renault 19:
1983: Mit der Codenummer X-53 beginnt die Entwicklung eines Kompaktklassemodells, das gegen Ende des Jahrzehnts die Modelle Renault 9 (Stufenheck) und Renault 11 (Schrägheck) ablösen soll
1984: Die ersten Designstudien für den designierten Renault 19 werden im November vorgestellt
1985: Als Grundlage für die Form des Serienfahrzeugs dienen Entwürfe des Italieners Giorgetto Giugiaro. Georges Besse wird als Nachfolger von Bernard Hanon Chef bei Renault und beginnt mit einem harten Sanierungskurs des Staatsunternehmens
1986: Am 17. November wird George Besse von politisch motivierten Terroristen ermordet. Sein Nachfolger Raymond H. Lévy setzt den Spar- und Sanierungskurs des Konzerns mit Stellenabbau fort, dem Renault 19 fällt eine modellpolitische Schlüsselrolle zu auf dem Weg der wirtschaftlichen Gesundung des Unternehmens. Auch die Schließung des traditionsreichen Stammwerks Billancourt war unvermeidlich
1988: Im Mai feiert der Renault 19 mit deutlicher Verzögerung Premiere als 4,16 Meter langer Fünftürer. Die Verspätung war notwendig, weil Qualitätsmängel abgestellt werden mussten. Die europäische Fertigung des Renault 19 läuft in den Werken Douai, Maubeuge, Valladolid und Setúbal an. Für Südamerika erfolgt die Produktion in Santa Isabel und Córdoba. Der Renault 19 trägt als letztes Renault Modell eine Zahl als Modellbezeichnung  
1989: Im Januar Markteinführung des Renault 19 in Deutschland. Auf der Frankfurter IAA debütiert im September die Stufenhecklimousine Renault 19 Chamade (deutsch: „Herzflimmern“). Sportliches Spitzenmodell wird der anfangs ausschließlich dreitürige Renault 19 16V. Nur einen Monat nach dem Fall der Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten beginnt Renault im Dezember mit dem Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes in der damaligen DDR. Schon in seinem ersten deutschen Verkaufsjahr ist der Renault 19 das meistgekaufte Importauto der Kompaktklasse, was Renault zum Sondermodell Renault 19 GTS Champion animiert
1990: Über einen Zeitraum von vier Jahren bis 1994 ist der Renault 19 das meistverkaufte Importauto in Deutschland. Insgesamt erzielt der Renault 19 hierzulande über 460.000 Zulassungen. Zusammen mit dem Clio erreicht der R19 in den neuen Bundesländern einen Marktanteil von über zwölf Prozent. Am 4. Juli wird der Staatskonzern Renault Aktiengesellschaft und der Renault 19 hat dazu beigetragen die staatliche Regie Renault zurück Richtung schwarze Zahlen zu bringen 
1991: Im Oktober feiert das Renault 19 Cabrio seine deutsche Markteinführung. Die Produktion der Rohkarosse erfolgt bei Karmann in Osnabrück, die Endmontage in Frankreich im Renault-Werk Maubeuge. Erstmals seit 1979 erreicht Renault in Deutschland wieder einen Marktanteil von mehr als fünf Prozent und wird erneut größter Importeur mit über 200.000 verkauften Fahrzeugen. Dies vor allem dank des Erfolgs der Modellreihe Renault 19 und des Schnellstarts in den neuen Bundesländern
1992: Im Juni technisches und optisches Facelift für alle Renault 19. In Deutschland gewinnt der Renault 19 den Medienpreis „Goldenes Lenkrad“
1993: Der Renault 19 Chamade erhält in Deutschland die Bezeichnung Renault 19 Bellevue nach dem neuen Berliner Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten und als Referenz an die Kunden in den östlichen Bundesländern, die den Renault 19 als Stufenheck besonders schätzen
1994: Im Herbst entfällt die 58-PS-Motorisierung aus dem deutschen Lieferprogramm 
1995: Der Renault Mégane ersetzt im Herbst den Renault 19, von dem bis dahin über 3,2 Millionen Einheiten gebaut wurden. In Deutschland wurden über 460.000 Einheiten des Renault 19 abgesetzt. Vier Mal in Folge war der Renault 19 meistverkauftes Importauto in Deutschland  
1997: Das Renault 19 Cabriolet wird durch den Mégane in ähnlicher Karosserieform abgelöst
2000: Einstellung der Produktion des Renault 19 in Südamerika und für die Türkei

Wichtige Motorisierungen des Renault 19:
Renault 19 (1988-1992) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Benziner (43 kW/58 PS)
Renault 19 (1988-1992) mit 1,7-Liter-Vierzylinder-Benziner (54 kW/73 PS bzw. 55 kW/75 PS bzw. 66 kW/90 PS)
Renault 19 (1988-1992) 16V mit 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner (99 kW/135 PS)
Renault 19 (1988-1992) mit 1,9-Liter-Vierzylinder-Diesel (47 kW/64 PS)
Renault 19 (1992-1994) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Benziner (43 kW/58 PS) 
Renault 19 (1992-1995) mit 1,7-Liter-Vierzylinder-Benziner (54 kW/73 PS)
Renault 19 (1992-1995) mit 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner (65 kW/88 PS bzw. 80 kW/109 PS)
Renault 19 16V (1992-1995) mit 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner (99 kW/135 PS)
Renault 19 (1992-1995) mit 1,9-Liter-Vierzylinder-Diesel (47 kW/64 PS)
Renault 19 (1992-1995) mit 1,9-Liter-Vierzylinder-Turbodiesel (66 kW/90 PS)
Für verschiedenen Märkte auch Renault 19 mit 1,2-Liter-Benziner (40 kW/55 PS bzw. 43 kW/58 PS)

Ausgewählte Preise:
Renault 19 TR 3türig (1989) ab 17.350 Mark
Renault 19 Camade TR (1989) ab 18.150 Mark
Renault 19 GTS 3türig (1989) ab 18.950 Mark
Renault 19 TDE 5türig (1989) ab 21.450 Mark
Renault 19 TD 3türig (1989) ab 18.250 Mark
Renault 19 GTD 5türig (1989) ab 19.250 Mark
Renault 19 TR 3türig (1991) ab 18.250 Mark
Renault 19 GTS 3türig (1991) ab 19.950 Mark
Renault 19 TDE 5türig (1991) ab 22.950 Mark
Renault 19 16V 3türig (1991) ab 29.950 Mark
Renault 19 TD 3türig (1991) ab 19.450 Mark
Renault 19 GTD 3türig (1991) ab 20.550 Mark
Renault 19 1.4 RL 3türig (1993) ab 20.600 Mark
Renault 19 1.8 RN 3türig (1993) ab 22.700 Mark
Renault 19 RT 1.8 S 5türig (1993) ab 25.700 Mark
Renault 19 RT 1.8 i 3türig (1993) ab 28.150 Mark
Renault 19 16V 1.8 3türig (1993) ab 33.850 Mark
Renault 19 RL 1.9 D 3türig (1993) ab 23.550 Mark
Renault 19 RN 1.9 dT 3türig (1993) ab 27.350 Mark
Aufpreis für Renault 19 5türig bzw. Bellevue 950 Mark (Jahr 1993)
Renault 19 Cabrio (1993) ab 35.720 Mark
Renault 19 Cabrio 16V (1993) ab 42.520 Mark

Der kompakte Peugeot 203 verkörperte in der Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit alles, wonach sich Franzosen und Deutsche sehnten: Chrom-Glamour à la Hollywood, Fernweh durch Familien-Kombis, Prestige als Promi-Limousine und das zu kleinen Kosten.

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