50 Jahre Audi 100 Coupé S

2019.07.16 - Wolfram Nickel/SP-X

Es war der einstige Daimler-Konstrukteur Ludwig Kraus, der Audi vor dem Schicksal einer VW-Werkbank rettete. Mit dem Audi 100 brachte er die Ingolstädter auf Augenhöhe mit Mercedes, dann gönnte er sich das schnellste Frontantriebscoupé als Dienstwagen. Mit einem Fastback, wie es sich sonst nur bei Maserati fan

SP-X/Köln. Das waren noch Zeiten: Mehr als 20 neue Sportcoupés kämpften 1969 in der legendären Messehalle 5 der Frankfurter IAA um die Gunst des Publikums. Nirgends aber war das Gedränge der rund eine Million Besucher so dicht wie am Audi-Stand. Gerade erst hatten die Ingolstädter mit dem neuen Audi 100 das Mittelklasse-Establishment herausgefordert und vor allem Mercedes irritiert. Nun gab es schon den nächsten Aufreger in Form eines glamourös gezeichneten Coupés mit italienisch inspiriertem Fastback, ausgestellt direkt neben dem ebenfalls sportiv angehauchten neuen Audi 100 Zweitürer. Während allerdings die zweitürige Limousine in einem konventionellen Stufenheck auftrat, erinnerten die extravaganten Konturen des Audi 100 Coupé S an superschnelle und elitär kostspielige Gran Turismo wie Maserati Ghibli oder Aston Martin DBS, vielleicht auch an den Fiat Dino.

Hatte Audi-Chef Konstrukteur Ludwig Kraus nach der im Geheimen gegen ein Verbot von Volkswagen-Konzernchef Heinrich Nordhoff entwickelten Audi 100 Limousine nun eine Kooperation gewagt mit italienischen Stardesignern wie Vignale oder Bertone? Unglaublich, aber das Audi Coupé S war ein sportiver Gran Turismo, wie ihn sich Kraus als persönlichen Dienstwagen wünschte. Mit 85 kW/115 PS Leistung – 15 Prozent plus gegenüber dem Audi 100 LS – und damit genügend Power für die Pole Position als damals schnellstes Frontantriebs-Coupé neben dem Lancia Flavia.

Tatsächlich sollte das Audi 100 Coupé S in die kleine Nische treffen zwischen konventionellen Mittelklasse-Coupés und noblen Zweitürern, also etwa zwischen Ford 20 M Hardtop Coupé und Mercedes 250 C/CE oder Opel Commodore Coupé und BMW CS. Bei den Importen bewegte sich das Audi Coupé zwischen Fiat 124 Sport und exklusivem Lancia Flavia Coupé sowie Peugeot 504 Coupé. Davon kündete zunächst einmal die Preisliste des 100 Coupé S, die bei 14.400 Mark begann – und damit ein Viertel über der Limousine lag. Aber auch der Anspruch, den Audis erste Marketingkampagne für den damals flottesten Ringträger kommunizierte: „Für eine neue Sportfahrer-Klasse“, mit „Fahrern, die ein griffiges Sportlenkrad nicht als Zierrat ansehen“. Tatsächlich jubelte die Fachpresse 1969 nach ersten Testfahrten mit dem 115-PS-Fronttriebler: „Mit diesem Audi müsste man die Monte Carlo gewinnen“ oder „Auf der Autobahn ist man mit dem Audi 100 Coupé König“, aber auch schlicht: „Mutter VW darf weiterhin stolz auf die tüchtige Tochter sein“.

Verdikte der Fachwelt, die dem leidenschaftlichen und promovierten Ingenieur Ludwig Kraus gefallen haben müssen. Schließlich hatte sich „Dr. Audi“, wie er von seinen Bewunderern genannt wurde, das 100 Coupé als persönliches Firmenauto entwickeln lassen. Zuvor hatte Kraus mit der erfolgreichen Audi 100 Limousine verhindert, dass VW-Boss Heinrich Nordhoff aus der 1965 von Mercedes übernommenen Auto Union eine verlängerte VW-Käfer-Werkbank machte. Und nun gab es für alle anspruchsvollen und liquiden Kunden ein verführerisches Coupé, das viel mehr völlig eigenständiges Modell als Limousinen-Ableger war. Nur die Frontpartie und Teile der vorderen Türen waren mit der zweitürigen Audi 100 Limousine gleich, ansonsten bestimmten Fastbacklinie und sportivere Proportionen auf verkürzter Bodengruppe den Auftritt des 4,40 Meter langen Coupés. Fünf Zentimeter flacher, 19 Zentimeter kürzer und zwei Zentimeter breiter als die Limousine, damit traf der Zweitürer den Goldenen Schnitt wie sonst nur Haute Couture aus bella Italia.

Für Bertone oder Pininfarina hatte Ingolstadt jedoch kein Geld, gerade erst hatte VW die Fusion von Audi mit NSU verfügt. Wer also war der Karosseriekünstler? Tatsächlich war es Ludwig Kraus persönlich, der die Stilistik des Coupés vorgab und in Ingolstadt durch Helmut Warkuß, erst seit einem Jahr im Audi-Team, ausführen ließ. Wobei Ludwig Kraus nach Audis Verschmelzung mit NSU auch mit Claus Luthe, dem Schöpfer des avantgardistischen NSU Ro 80, zusammenarbeitete. Geringes Gewicht und günstige Aerodynamik des Coupés definierte jedoch noch Mr. Audi persönlich, der seinen bayerischen Beau dadurch 185 km/h schnell machte – flotter als den nominell gleich starken und ob seines Cw-Wertes gepriesenen Wankel-Wunderwagen NSU Ro 80, mit dem der Audi 100 nun hausintern konkurrierte und schließlich sogar vom selben Fließband rollte.

Von der später diskutierten Übernahme des Wankelmotors in den Audi 100 soll Kraus allerdings nichts gehalten haben, schließlich hatte er mangels finanzieller Masse auch keine kräftigen Sechszylinder für sein automobiles Lieblingskind in Serie gehen lassen können, sondern diese nur als Prototypen getestet. Stattdessen spendierte Kraus dem 100-PS-Vierzylinder des Audi 100 LS eine von 81,5 auf 84 Millimeter vergrößerte Zylinderbohrung, eine modifizierte Auspuffanlage sowie zwei Register-Fallstromvergaser und schon hatte das Coupé 85 kW/115 PS unter der Haube. Dass der 1,9-Liter-Benziner Dauervollgas-Fahrten bisweilen mit Haarrissen im Block quittierte, wurde erst später diskutiert – zumal zwischen IAA-Präsentation und der Premiere in den Händlerschauräumen gut ein Jahr verstrich. Vorerst überraschte das 1.100 Kilogramm leichte Audi 100 Coupé mit verblüffender Effizienz, wovon die ersten Test- und Normverbrauchswerte kündeten. Mit 8,9 Litern lag der Normverbrauch um bis zu 30 Prozent unter den Werten der Wettbewerber und die Alltagswerte von 11 bis 14 Liter bestätigten die Genügsamkeit.

Aber was nützte ein knausriger Vierzylinder, wenn die Konkurrenz über prestigieuse Sechszylinder verfügte? Schließlich war der Prestigefaktor damals beim Autokauf weit wichtiger als heute. Audi wurde erst nach und nach gesellschaftsfähig, die Besserverdienenden fuhren vorläufig Benz, BMW, vielleicht auch Alfa Bertone Coupé. Zu erleben war das damals in den abendlichen TV-Straßenfegern wie „Der Kommissar“, „Stahlnetz“ oder „Tatort“, aber auch im Alltag in allen gepflegten Villenvierteln. Als dann 1971 auch noch die deutlich billigere Audi 100 GL Limousine mit Doppelscheinwerfern und identischem 1,9-Liter-Vierzylinder debütierte, war es beim Coupé um allen Vorsprung durch starke Technik geschehen. Die Verkaufszahlen für das charismatische Design-Juwel dümpelten auf bescheidenem Niveau. Eine Studie des Audi-Marketing ermittelte daraufhin, dass drei Viertel der Coupé-Kaufinteressenten den exklusivsten Audi 100 als zu teuer bewerteten.

Bis 1976 erfuhr der nobelste und dynamischste Audi alle Modellpflegen, die auch die Limousine erhielt. So reduzierte sich die Motorleistung 1971 auf 82 kW/112 PS zugunsten besserer Emissionswerte und ab Modelljahr 1974 ähnelte das Frontdesign dem Grill des neuen Audi 80. Am Ende konnte das Coupés 30.000 Käufer gewinnen; kein Ruhmesblatt im Vergleich zur Limousine, die es auf rund 790.000 Einheiten brachte. Andererseits: Im Vergleich mit anderen elitären Coupés schlug sich der sportlichste Audi 100 nicht schlecht. Und die unvergänglich attraktive Fastback-Linie des Audi 100 Coupé inspirierte noch Jahrzehnte später den Audi A7 Sportsback.

Wolfram Nickel/SP-X

Kurzcharakteristik

Chronik Audi 100 Coupé S:
1959: Die Ingolstädter Auto Union wird eine 100prozentige Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG
1962: Die Verkaufszahlen der DKW-Zweitakter sind stark rückläufig. Daimler-Benz entsendet daraufhin den Ingenieur Ludwig Kraus als technischen Direktor nach Ingolstadt. Kraus wird beauftragt, einen ursprünglich für Daimler-Benz-Fahrzeuge konzipierten Viertaktmotor für den Einsatz im neuen DKW-Flaggschiff F 102 anzupassen
1965: Zum 1. Januar übernimmt Volkswagen die Auto Union AG. Die Produktionskapazitäten in Ingolstadt sollen vor allem für die Fertigung des VW Käfer genutzt werden. Dennoch entwickelt Ludwig Kraus im Geheimen das Flaggschiff Audi 100 als erste komplett neue Konstruktion in der Nachkriegsgeschichte von Audi
1966: VW-Konzernchef Heinrich Nordhoff gibt bei der Prototypen-Präsentation des künftigen Audi 100 grünes Licht für die Produktion
1968: Als Coupé soll der Audi anfangs 100 GT heißen und so die Verwandtschaft zu Gran Turismo betonen. Entwicklungsbeginn des Coupés auf verkürzter Bodengruppe der Limousine mit 11,5 Zentimeter kleinerem Radstand. Während die Fahrzeuglänge um 19 Zentimeter kürzer ausfällt als bei der 100-Limousine wachsen Fahrzeugbreite und Spurweite des Coupés um zwei Zentimeter; die Höhe des Coupés ist um fünf Zentimeter reduziert. Präsentation der Audi 100 Limousine mit 1,8-Liter-Vierzylinder als neuem Flaggschiff der Marke. Zunächst gehen die Typen Audi 100 (59 kW/80 PS), Audi 100 S (66 kW/90 PS) und Audi 100 LS (74 kW/100 PS) an den Start. Insgesamt wurden 1968 exakt 67.474 Audi Fahrzeuge ausgeliefert – gegenüber knapp 30.000 Einheiten im Vorjahr
1969: Die seriennahen Prototypen des Audi 100 Coupé S zeigen noch trapezförmige Scheinwerfer wie bei der Limousine. Noch im Juli wird um Details beim Coupédesign gerungen, im August das Felgendesign definiert. Auf der Frankfurter IAA feiert das 100 Coupé S dann aber mit markanten Doppelscheinwerfern seine Weltpremiere – neben der ebenfalls neuen, schon länger angekündigten zweitürigen Audi 100 Limousine. Kunden, die das Coupé schon auf der Messe vorbestellen wollen, müssen noch über ein Jahr bis zum Anlauf der Großserie warten. Im Dezember neue Preisliste, jetzt gibt es für Zwei- und Viertürer einen Einheitspreis, der in Basisversion mindestens 9.590 Mark beträgt. 67.852 Einheiten der Modellreihe werden gebaut, darunter die ersten drei Exemplare des Audi 100 Coupé S 
1970: Markteinführung des Audi 100 Coupé S mit 85 kW/115 PS Leistung aus 1,9 Liter Hubraum zu Preisen ab 13.900 Mark (September), während der Audi 100 LS ab 10.890 Mark kostet (gleich ob zwei- oder viertürig) und die Basisversion des Audi 100 sogar 5.000 Mark billiger ist. Das Audi-Marketing ermittelt, dass drei Viertel der Coupé-Kaufinteressenten den exklusivsten Audi 100 als zu teuer bewerten
1971: Neuordnung des Limousinenportfolios beim Audi 100. Mit 63 kW/85-PS starkem 1,8-Liter-Motor ersetzt der Typ Audi 100 (auch als 100 LS lieferbar) die bisherigen Versionen mit 59 kW/80 PS und 66 kW/90 PS. Darüber angeordnet sind der Audi 100 LS mit 74 kW/100 PS und das neue Spitzenmodell Audi 100 GL mit 1,9-Liter-Vierzylinder und 82 kW/112 PS Leistung. Doppelscheinwerfern sind optisches Erkennungszeichen des 100 GL, der mindestens 11.720 Mark kostet und damit im Frontdesign dem Coupé ähnelt. Auch das Audi 100 Coupé S zu Preisen ab 14.400 Mark verfügt jetzt über 82 kW/112 PS Leistung, da nur noch ein Registervergaser statt wie bisher zwei Solex-Registervergaser zum Einsatz kommt und so neue Emissionsvorgaben erfüllt werden. Mit 8.586 produzierten Einheiten erzielt das Audi 100 Coupé S sein bestes Jahresergebnis. Italien ist wichtigster europäischer Exportmarkt für das Coupé
1972: Insgesamt 161.523 Einheiten werden vom Audi 100 in diesem Jahr ausgeliefert, darunter aber nur 8.406 Audi 100 Coupé
1973: Facelift zum Modelljahr 1974 mit kleinerem Kühlergrill im Stil des Audi 80. Schraubenfedern an der Hinterachse ersetzen die innenliegende Torsionsfeder 
1974: Nach der ersten Ölkrise stürzen die Verkaufszahlen für das Coupé um zwei Drittel auf nur noch 2.490 Einheiten im Jahr 1974. Neue Vorderachskonstruktion für alle Audi 100 zum Modelljahr 1975. Dadurch erhält auch das Coupé eine andere Vorderachsgeometrie mit einen negativem Lenkrollradius. Neu ist auch die Diagonal-Zweikreisbremse, zudem werden die vorderen innenbelüfteten Scheibenbremsen an die Radseite der Antriebswellen verlegt, das Verölen zu verhindern 
1975: Insgesamt 85.821 Audi 100 werden in diesem Jahr gebaut, davon 1.476 Coupés 
1976: Im März nochmals neue Preislisten für das Audi 100 Coupé, das jetzt ab 19.365 Mark kostet. Bis Jahresende werden die letzten 996 Audi 100 Coupé S ausgeliefert, das Produktionsende war allerdings schon im Sommer. Im August wird in Luxemburg die zweite Generation des Audi 100 (Typ 43) vorgestellt, ein Coupé ist nicht mehr dabei

Produktionszahlen Audi 100 Coupé S:
Insgesamt wurden 827.474 Einheiten des Audi 100 (C1) von 1968 bis 1976 gebaut, darunter 30.687 Audi 100 Coupé S in den Jahren 1969 bis 1976. Im Jahr 1969 betrug die Produktionszahl des Coupés 3 Einheiten, 741 Einheiten 1970, 8.586 Einheiten 1971, 8.406 Einheiten 1972, 7.989 Einheiten 1973, 2.490 Einheiten 1974, 1.476 Einheiten 1975, 996 Einheiten 1976. Zum Vergleich: Vom Audi Coupé GT wurden von 1980 bis 1987 insgesamt 169.017 Einheiten gebaut zuzüglich 11.452 Audi quattro und 212 Sport quattro.  

Technische Daten Audi 100 Coupé S:
Zweitüriges Coupé der oberen Mittelklasse; Länge: 4,40 Meter, Breite: 1,75 Meter, Höhe: 1,34 Meter, Radstand: 2,56 Meter,
Audi 100 Coupé S von 1969-1971 mit 1,9-Liter-Vierzylinder-Benziner, 85 kW/115 PS, maximales Drehmoment: 159 Nm bei 4.000 U/min, Viergang-Schaltgetriebe, Vorderradantrieb, 0-100 km/h: 9,9 s, Vmax: 185 km/h, DIN-Normverbrauch: 8,9 Liter/100 Kilometer.
Audi 100 Coupé S von 1971-1973 mit 1,9-Liter-Vierzylinder-Benziner, 82 kW/112 PS, maximales Drehmoment: 160 Nm bei 3.500 U/min, Viergang-Schaltgetriebe (optional Dreigang-Automatik), Vorderradantrieb, 0-100 km/h: 10,2 (Automatik: 11,2) s, Vmax: 183 (Automatik: 179) km/h, DIN-Normverbrauch: 8,9 Liter/100 Kilometer.

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