SP-X/Köln. Endlich wieder ein Duell um die Führung? Vor 40 Jahren bekam der VW Golf frische Konkurrenz aus Bochum. Der Opel Kadett hatte zuvor schon den betagten Käfer bezwungen und Opel 1972 noch einmal kurzzeitig zur Nummer eins in Deutschland gemacht. Doch mit dem Erscheinen des modernen VW Golf gerieten die technisch konservativen Kadetten ins Hintertreffen, sogar das Rüsselsheimer Flaggschiff Rekord verkaufte sich zeitweise besser als die billigen Kompakten. Ein neuer Verkaufsschlager musste her und das konnte nur ein zukunftsführender Kadett sein mit Vorderradantrieb, Fastback und – anfangs noch aufpreispflichtiger - praktischer Heckklappe. Tatsächlich machte der im Frühherbst 1979 präsentierte Kadett D alles anders und sogar zwei neue Namen wurden erfolgreich angetestet: Astra hießen die Rechtslenker-Versionen unter Vauxhall-Label und Corsa ein Kadett-Sondermodell, das den späteren gleichnamigen Kleinwagen ankündigte. Sport und Sparen konnte die fünfte und vorletzte Kadett-Generation ebenfalls: Gegen den Golf GTI positioniert wurde der 85 kW/115 PS starke Kadett GTE und gegen den Golf Diesel der erste Kadett mit 1,6-Liter-Selbstzünder, insgesamt der richtige Mix für einen neuen Millionseller.
Es waren Briten, Italiener und Franzosen, die den Traum vom Raum in kleinen Familienautos als erste wahr machten. Auf den Mini mit Frontantrieb und platzsparendem Quermotor folgten freche Heckklappen-Kompakte wie Autobianchi Primula und Simca 1100. So gesehen war der VW Golf im Jahr 1974 kein vom Himmel gefallener Geniestreich und doch gelang dem Wolfsburger bis dahin unmöglich geglaubtes. Der Golf etablierte die neue Technik als ebenso klassenloses Fahrzeugkonzept, wie es zuvor der Käfer war. Mit dem Golf fuhren junge Familien und Generaldirektoren – eine Vorlage, die Opel 1979 mit dem Kadett D toppen wollte, zumal der Kadett durch die Kombi-Version „Caravan“ schon den Vorsprung eines Lademeisters hatte. Trotzdem musste der frontangetriebene Kadett D vollkommen neu gedacht werden. Unter der Führung des langjährigen Entwicklungschefs Friedrich W. Lohr machten die Rüsselsheimer ihren damaligen Konzern-Bossen bei General Motors klar, dass nur die Kombination aus Frontantrieb und Quereinbau des Motors zum klassengrößten Innenraum bei kompakten äußeren Abmessungen führt. Die Hartnäckigkeit von Lohr führte fünf Jahre später zum Erfolg – und brachte dem FWD (Front-Wheel-Drive) den konzerninternen Rufnamen „Fritz will das“ (FWD) ein. Fortan gab es bis zur Mittelklasse nur noch FWD-Opel.
Die Suche nach mehr Raum hatte also Erfolg und die Fachpresse feierte den Kadett D 1979 als Revolution. Gegenüber dem konservativen Stufenheck-Vorgänger war der neue Schrägheck-Kadett 13 Zentimeter kürzer, trotzdem wuchs der Radstand um über zehn Zentimeter auf 2,51 Meter, womit der preiswerteste Opel sogar den Klassenprimus Golf um elf Zentimeter übertraf. Unter die Heckklappe des Kadett passten passable 402 Liter Kofferraumvolumen und für Firma und Freizeit gab es noch den traditionellen Kadett Caravan, erstmals optional mit fünf Türen und mit Sondermodellen, die jede Nische ins Visier nahmen. Legendär ist vor allem der Kombi „Pirsch“: Dieser Jagdwagen stammte trotz seines Namens einmal nicht vom Allradspezialisten Subaru, stattdessen zeigte ein höhergelegter Kadett mit Sperrdifferential und Unterfahrschutz, dass Frontantrieb im Forsteinsatz genügen kann.
Oder der poppig-bunte und pragmatische Kadett „J“ für junge Leute, die sonst vielleicht Preisbrecher wie Seat Ronda oder Mazda 323 gekauft hätten. Tatsächlich war der Typencode „J“ schon vom Kadett C bekannt, der übrigens im Opel-Programm parallel zum Nachfolger angeboten wurde, nun allerdings unter dem Modellnamen Chevette und mit einer Front, die verriet, dass es sich hier um den kleinsten britischen Vauxhall handelte. Die Briten behielten das betont billige Kadett-C-Derivat Chevette in der Fertigung bis der 1982 vorgestellte Kleinwagen Corsa für Furore sorgte. Schlagzeilen machte jedoch erst einmal der Frontantriebs-Kadett. Etwa mit einer Absatzprognose des Opel-Marketings, die 1979 von bis zu 380.000 Kadett D pro Jahr ausging – und von der Realität sogar noch übertroffen wurde. Tatsächlich fanden in fünf Produktionsjahren sogar 2,1 Millionen Einheiten des in Bochum, Antwerpen und Ellesmore Port gebauten Bestsellers Fans.
In Deutschland gelang es dem modern gezeichneten und aerodynamischen Vorbild des kleinen Segments (cw-Wert 0,39), den großen Opel Rekord von Platz zwei der Zulassungscharts zu schubsen und sich an die Fersen des VW Golf zu heften. Zwar fehlte es dem Kadett D noch immer am klassenlosen Image des Wolfsburgers, aber zumindest beim Fahrwerkslayout – hinten schickte eine Verbundlenkerachse mit sogenannten Miniblockfedern die betagte Starrachse endlich in den Ruhestand – erinnerte der Kleine ans Opel Flaggschiff Senator. Auch das Frontdesign mit trapezförmigen Scheinwerfern – nur die Basisversion nutzte billige runde Lampen – sollte einen Hauch Premium vermitteln und dazu passte die noble Topausstattung mit italienischem Namenscode „Berlina“. Mit exklusiven Südeuropäern wie dem gleichfalls neu eingeführten Lancia Delta konnte sich der volkstümliche Hesse aber nicht ernsthaft messen. Wichtiger war Opel-Kunden ohnehin das Thema Sport. Familien-Coupés wie noch beim Kadett C waren zwar Geschichte, dafür gab es nun einen dreitürigen Kadett SR mit Spoilern, Kotflügelverbreiterungen und breiten Alurädern. Ein Auto, das trotz frischer OHC-Motoren viel schneller aussah als es war, arbeiteten doch nur 55 kW/75 PS unter der Haube.
Erst 1983, als sich der Golf II an die Startlinie schob, in Wohngebieten erste Tempo-30-Zonen eingeführt wurden und eine neue Diskussion um ein generelles Tempolimit auf Autobahnen tobte, zündete Opel die schnellste Ausbaustufe des Kadett. Der 187 km/h flotte GTE setzte 85 kW/115 PS aus 1,8-Liter-Hubraum frei und wirkte im Vergleich zum Kadett SR wie eine Kanonenkugel. Trotzdem konnte der nur eine Tonne wiegende Opel dem erneuerten Golf GTI lediglich beim Spurt auf Tempo 100 Paroli bieten, in der Vmax und in den Verkaufszahlen fuhr er ebenso hinterher wie der Ford Escort XR3i. Wenigstens konstatierte die Fachpresse, dass der Kadett GTE „in schnellen Kurven wie Kaugummi haftete“. Für günstige Verbrauchswerte in jenen Jahren nach der zweiten weltweiten Erdölverknappung sorgte die neue Benzineinspritzung LE-Jetronic im Zusammenspiel mit einer damals noch innovativen Schubabschaltung. 5,7 Liter verbrauchte der Kadett GTE nach der DIN-Norm und damit nur wenig mehr als der gleichzeitig eingeführte 40 kW/55 PS-Diesel.
Den Frontantriebs-Vorsprung des Wolfsburger Wettbewerbers konnten die Opel mit maritimer Modellbezeichnung einholen, zum Überholen reichte es noch nicht. Das galt auch für die Qualität, denn während der 1983 lancierte VW Golf II bis heute im Straßenbild präsent ist, raffte Gevatter Rost die Kadett D schnell dahin. Erst der 1984 lancierte Opel Kadett E machte auch das besser – und übergab 1991 den Stab an den Astra.