SP-X/Köln. Opel vor Volkswagen im Verkaufsranking? Das gab es im Sommer vor 30 Jahren tatsächlich, entsprechend groß waren die Erwartungen an den dritten Golf, der im September 1991 den gleichfalls neuen Opel Astra wieder auf die Plätze verweisen sollte. So wie heute der elektrische ID.3 als kühner Kompakter im VW-Programm fungiert, sollte damals der Golf III mit mutigen Konzepten die Herzen der Massen elektrifizieren. Dazu fuhr sogar ein batteriebetriebener Golf Citystromer vor, und auch ein Effizienzkünstler namens Golf Ecomatic mit rau laufendem Diesel und sogenannter Schwungnutz-Automatik versuchte sein Glück. Tatsächlich machte Volkswagen fast alles anders bei seiner bereits fast 13 Millionen Mal verkauften Markenikone, wie damals auch Entwicklungsvorstand Ulrich Seiffert gegenüber Medien konstatierte: „Der Name ist gleichgeblieben, das Automobil ist praktisch neu“. Eine Klasse für sich repräsentierte zudem der mit Spannung erwartete Golf VR6, der mit flüsterndem Sechszylinder und Kraft im Überfluss erstmals Luxus ins Golf-Turnier einführte, während ein neuer GTI und das frische Golf Cabriolet die Aufmerksamkeit fordernde Lifestyle-Fraktion bedienten. Ob auf Sylt oder an der Côte d'Azur, der Golf genügte dem Dresscode jener Dekade, in der Automobile noch Statussymbole waren. Dagegen griff der erste Golf Variant nach der Führung unter den kompakten Familienkombis und ein Stufenhecktyp gewann die konservative Klientel.
Frischer Vento, raus aus dem großen Windschatten des Golf, in dem der bieder gehaltene Jetta bis dahin nur zu kleinen Stückzahlen kam. Tatsächlich fand das erstmals Vento genannte Stufenheckmodell des Golf in den östlichen Bundesländern des soeben wiedervereinigten Deutschlands überraschende Beliebtheit, noch mehr allerdings in Süd- und Osteuropa. Dort deklassierte er klar die Konkurrenten von Ford (Orion), Opel (Astra) oder Renault (19 Chamade). In Zahlen: Wurden 1991 gerade einmal 3.230 Volkswagen Vento gefertigt, stieg die Stückzahl zwei Jahre später auf 133.000 Einheiten. Während der Golf als bezahlbarer Drei- und Fünftürer 1992 erstmals mit dem wichtigsten europäischen Medienpreis „Auto des Jahres“ ausgezeichnet wurde, wählte er als viertüriger Vento den Weg der sogenannten Höherpositionierung. So verzichtete der Vento (oder Jetta, wie er in Nordamerika plötzlich doch weiterhin hieß) auf den Basis-Vierzylinder mit 44 kW/60 PS, betonte stattdessen mit Flügel auf der Kofferraumklappe und GT-Signet oder als 128 kW/174 PS freisetzender und 225 km/h flotter VR6 gehobenen Anspruch im Stil von 3er BMW und Mercedes C-Klasse.
Noch gefragter waren freilich die Kombis, nicht länger nur die großen Arbeitstiere á la Volkswagen Passat Variant oder Opel Omega Caravan, sondern neuerdings vermehrt auch kleine Lastenträger, wie sie junge Familien liebten und wie sie die vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl kritisierte „Freizeitgesellschaft“ verlangte. VW hatte dieses Feld kompakter Familien- und Reiseautos zunächst Konkurrenten überlassen. Aber nun gab es doch einen Golf Variant – 32 Zentimeter länger als das Steilheckmodell – und mit einem riesigen Laderaum, fast so üppig wie beim Passat, und genau deshalb wurde auch dieser Variant ein Gewinnertyp. Obwohl sich der Golf auf seinem Heimatmarkt inzwischen gegen mehr als 30 Konkurrenten durchsetzen musste, gelang ihm dies in dritter Auflage fast so gut wie 1974, als der Golf I einer ganzen Fahrzeugklasse seinen Namen gab. Im ersten vollen Verkaufsjahr 1992 rollten 914.000 Golf III vom Band, gut ein Drittel mehr als Opel Astra oder Toyota Corolla und sogar das Dreifache des Ford Escort und das Zehnfache von Citroen BX oder Peugeot 309.
Während sich die Erfolgskurve des neuen Golf nicht von der Wirtschaftsflaute der 1990er beeindrucken ließ, dieses Volksauto vielmehr irgendwann den Käfer als meistverkauften Pkw aller Zeiten ablösen sollte, wurde das 1979 vorgestellte und bis 1993 gebaute Golf I Cabriolet bereits zum Produktionsauslauf als erfolgreichster offener Viersitzer aller Zeiten gefeiert. Auf der IAA 1993 fand der beim Karossier Karmann gefertigte kultige Verdeckträger einen würdigen Erben: Allerdings hatte der neue, nach oben offene Golf III bis auf den feststehenden Überrollbügel kaum mehr etwas mit seinem Vorgänger gemein. Erstmals ließen sich jetzt die hinteren Seitenscheiben des Sonnenkönigs voll versenken und ein optionaler, sparsamer, aber vernehmlich arbeitender Diesel lieferte eine für Cabrios noch vollkommen ungewohnte akustische Kulisse. Die Frischluftfans waren zufrieden, auch wenn sie vorerst mehrheitlich Benziner wählten. Damit blieb das Golf III Cabrio bis 1998 an der Spitze, dann genügten kleine kosmetische Eingriffe, um den Luftikus zum Golf IV zu transformieren, dessen letzte Exemplare erst 2001 in Osnabrück gebaut wurden.
Die modebewussten Expressionisten mit Kleidung aus glänzendem Spiegelsamt, neonfarbenen Jogginghosen oder Netzshirts müssen den letzten Golf des 20. Jahrhunderts ebenfalls geliebt haben, denn für sie gab es die jährlich wechselnden Golf-Sondermodelle. Darunter die von Sammlern bis heute begehrten Editionen Pink Floyd und Rolling Stones, die gemeinsam mit den Rockbands realisiert wurden, aber auch Colour Concept, Moda, Savoy, Madison und natürlich eine GTI- sowie VR6- Edition. Der dezent grollende, aus dem Passat verpflanzte Sechszylinder, katapultierte den Spitzen-Golf 1991 in die Sportwagenliga. Davon zeugt der Null-auf-100-Sprintwert von 7,6 Sekunden, mit dem der Golf etwa den weit kostspieligeren BMW 325i deklassierte und auch Luxussportler vom Kaliber eines Mercedes 300 SL oder Jaguar XJ-S V12 auf die Plätze verwies. Für die Abwehr schneller kompakter Golfschläger wie Escort RS und Astra GSi blieb dagegen weiterhin der Golf GTI zuständig, den es nun erstmals mit 16-Ventil-Motor gab. Aber auch bei der Sicherheit legte der Golf III zu, war er doch der erste kompakte Wolfsburger mit Front- und Seitenairbags sowie serienmäßigem ABS.
Keine Schwächen also beim Golf III? Aber klar doch. VW-Beschaffungsvorstand José Ignacio López bewirkte bei den Zulieferern derart knallharte Kostensenkungen, dass es zu Qualitätsverlusten gegenüber dem fast unkaputtbaren Golf II kam. Und dann der Golf Ecomatic: Dieser Diesel mit frühem Start-Stopp-System begnügte sich zwar mit 4,6 Liter Verbrauch im Stadtverkehr und einer Emissionsreduktion von 35 Prozent, aber das breite Publikum verstand die Ecomatic ebenso wenig wie den elektrischen Citystromer, dessen Stückzahl im kleinen dreistelligen Bereich verharrte. Übersichtlich blieben auch die Absatzzahlen des 1993 lancierten Allradlers Golf Syncro, der anfangs immer mit einem 66 kW/90 PS-Vierzylinder gekoppelt wurde, ein Jahr später aber auch als 140 kW/190 PS kräftiger VR6 verkauft wurde.
Nach sechs Jahren und 4,8 Millionen Golf III übernahm Ende 1997 die vierte Generation des Megasellers das Zepter, um alles besser zu machen. In die Richtung, die Konzernvorstand Ferdinand Piech damals seinen Aktionären versprach: „Volkswagen, die Erfolgreichsten“.